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Birnbaeume bluehen weiß

Birnbaeume bluehen weiß

Titel: Birnbaeume bluehen weiß
Autoren: Gerbrand Bakker
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Gerard bekam Glassplitter von der zertrümmerten Windschutzscheibe ins Gesicht und in den Hals. Klaas klagte später über Schmerzen im Nacken. Daan war von dem Aufprall durch das Fenster an der Fahrerseite nach draußen geschleudert worden. Er war als Erster aus dem Auto. Anscheinend fehlte ihm nichts, weil er laut bellend um das Auto lief. »Still, Daan«, hätte Gerson gesagt, wenn er hätte sprechen können.
    Der Fahrer des anderen Wagens stieg aus und stellte sich vor unser Auto. Er schaute durch die Stelle, an der die Windschutzscheibe gewesen war, zu uns herein. Er sagte nichts. Er erzählte später, dass Daan ihn gebissen hatte. Als er zu uns hereinsah, hatte Daan sich in seine Hosenbeine verbissen. Erst hatte er nichts bemerkt. Nach einer Weile fühlte er, dass etwas an ihm zerrte. Er dachte, ihm sei schwindlig, und betastete seinen Kopf. Danach erst blickte er nach unten.
    Wir sahen das alles nicht, Daan ist ein kleiner Hund, und die Motorhaube war im Weg. Was wir wohl sahen, war, wie der Mann Gerard und Gerson anschaute. Wir sahen in seinen Augen, dass dieser Anblick etwas mit seiner Sprachlosigkeit zu tun hatte. Die Stille wurde in dem Moment durchbrochen, als der Mann ein Handy aus seiner Innentasche zog.

    Kurz darauf war auf der Kreuzung zwischen den Obstgärten plötzlich jede Menge los. Autos und Kleinbusse mit rotem und blauem Blinklicht tauchten auf. Gerard und Kees wurden in einen Krankenwagen geschoben. Klaas blieb zurück. Er hat alles gesehen. Er sah riesige Kneifzangen, Elektrosägen, Wagenheber, Hämmer, mit Flüssigkeit gefüllte Beutel, aus denen Schläuche hingen, und viele Menschen, die all diese Gegenstände gleichzeitig zu benutzen schienen. Er hatte ständig die Idee im Hinterkopf, dass er es nicht sehen wollte, dass er sein Gesicht unbedingt abwenden sollte. Man fragte ihn alles Mögliche. Jemand fragte ihn sogar, wer er war. »Ich gehöre dazu«, hatte er geantwortet, fast wie man sich in einem Laden entschuldigt, wenn man nur mitgeht und selbst nichts kauft. Gerson wurde langsam, Stück für Stück, aus dem Wagen geschält.
    »Gerson saß nicht im Auto«, sagte Klaas später, »das Auto saß in Gerson.«

Schlafen und Essen
    Gerson hatte schwarzes Haar und grüne Augen. Wunderschöne Augen, Augen, wie man sie sonst fast nirgends sieht. Er hatte eine große Nase und einen großen Mund. Oder besser gesagt, einen breiten Mund mit vollen Lippen, nicht so dünnen. Seine Ohren waren auch groß, aber es waren keine Segelohren, sie standen nicht ab. Auf seiner linken Wange war ein kleiner Kreis, perfekt rund. Eine Narbe von einem Sturz mit dem Roller, dem ein Gummigriff fehlte. Als das Unglück geschah, hatte er ziemlich lange Haare und zwei kleine Pickel am Kinn. Gerson war – das trauen wir uns ohne weiteres zu sagen, wir sind ja schließlich seine Zwillingsbrüder – ein hübscher Junge. Viel hübscher als wir. Wir haben Strohhaare und krumme Nasen und blaue Alltagsaugen. Augen, wie man sie überall sieht, wo immer man auch hinschaut. Wir kommen nach unserer verschwundenen Mutter, Gerson sieht Gerard ähnlich.

    Am Abend nach dem Ende des kleinen Autos sahen Gerard und Gerson sich absolut nicht ähnlich. Gerard war mit Nähten überzogen, sein Gesicht ein einziges Fadenknäuel.
    »Wollen Sie zu einem plastischen Chirurgen?«, war die einzige Frage, die der Arzt in der Ambulanz gestellt hatte.
    »Sind Sie verrückt«, antwortete Gerard, »die paar Schnitte.« Er hatte nicht die Zeit gehabt, in den Spiegel zu sehen, als der Arzt auch schon zu Nadel und Faden griff. »Kümmern Sie sich lieber um meinen Sohn.«
    Mit diesem Sohn hatte er Gerson gemeint, aber der war noch nicht im Krankenhaus angekommen. Auf dem Bett neben Gerard lag Kees. Er schrie vor Schmerzen, weil ein anderer Arzt sehen wollte, wo genau sein Arm gebrochen war. »Tja«, hatte der Arzt gesagt, »das scheint mir eindeutig. Da also.«
    Sie nannten den Bruch »einen schönen Bruch«, und dann wurde Kees’ rechter Arm eingegipst. Die Ärzte, die Gerard und Kees versorgten, waren echte Ambulanzärzte. Unfallchirurgen, die sich resolut an die Arbeit machten und keine Worte oder Zeit für überflüssige Dinge verschwendeten. Unfallchirurgie ist Unfallchirurgie. Als sie fertig waren, setzten Gerard und Kees sich in das leere Wartezimmer, um auf Gerson zu warten.

    Gerson wurde ein paar Stunden später gebracht. Er hatte nicht nur ein paar Schnitte im Gesicht oder einen gebrochenen rechten Arm. Er wurde in einen anderen Teil des
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