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Bindung und Sucht

Bindung und Sucht

Titel: Bindung und Sucht
Autoren: Karl Heinz Brisch
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sichere Bindungserfahrungen zur Verfügung gestellt werden können.Dies bedeutet auch, dass der Therapeut – in Bezug auf die Frequenz der Therapiesitzungen – sehr »dicht« und intensiv zur Verfügung stehen muss, sich in Krisensituationen und -zeiten eventuell auch noch über E-Mails und Mobiltelefon mit dem Patienten austauscht und erreichbar bleibt. Die emotionale Wirkung der neuen Bindungserfahrung muss im Prinzip intensiver sein als die Wirkung des Suchtmittels. Dies ist nicht einfach, weil das Suchtmittel, etwa Alkohol, unmittelbar nach seiner Einnahme beruhigend wirkt, noch schneller wirken Heroin und andere stoffgebundene Drogen auf die Physiologie im Sinne von Entspannung und einem Nicht-mehr-Wahrnehmen von Stress und Angst. Aus diesem Grund ist eine stationäre Suchtbehandlung angeraten, weil in der Regel in einer solchen Behandlungsform das emotionale Betreuungsnetz und die Kontinuität von Bindungserfahrungen durch ein therapeutisches Team intensiver – 24 Stunden am Tag – sein können, als dies in der ambulanten Suchtbehandlung möglich ist.
Suchterkrankung und bindungsorientierte Behandlung in verschiedenen Situationen und bezogen auf unterschiedliche Altersstufen
Suchterkrankung in der Schwangerschaft
    Suchterkrankte Schwangere haben eine große Sehnsucht nach Bindung und »Bemutterung«, also nach emotionaler Versorgung. Sie haben oft selbst frühe deprivatorische Erfahrungen in der eigenen Kindheit gemacht und sehr früh schon gelernt, sich in Bezug auf den Stress, der damit verbunden war, durch Drogen, Alkohol und ähnliche Suchtmittel zu beruhigen. Auch hier ist eine sichere therapeutische Bindung von großer Bedeutung, weil allein hierdurch schon eine gewisse emotionale Stabilisierung und Beruhigung erfolgt. Oft ist ein intensiver 1:1-Kontakt notwendig, ähnlich wie zwischen einem Baby und seiner Bindungsperson, damit die Erfahrung emotionaler Versorgung entsprechend intensiv gemacht werden kann. Erst dann wird es möglich, die früheren Defizite durch therapeutische Koregulation – jetzt in einer sicheren therapeutischen Bindungserfahrung – zu bearbeiten.
    Die emotionalen neuen Erfahrungen werden eine heilende Wirkung haben. Schon die Erfahrung der Stabilisierung durch eine sichere therapeutische Bindung hilft der Patientin, neue Fähigkeiten zur Stressregulation aufzubauen, um diese dann auch in stressvollen Situationen – außerhalb des Therapiezimmers – rund um die Geburt und danach in der Interaktion mit dem Baby einzusetzen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass stressvolle Triggerreize, die z. B. durch dasweinende Baby ausgelöst werden können, erneut auf ein Stresssystem der Mutter treffen, das überfordert ist, so dass diese dann im schlimmsten Fall in solchen Situationen das Baby schüttelt oder auch weggeht und es zu Hause für Stunden allein und unversorgt zurücklässt.
    Fallbeispiel Ilona 1
    Ilona hatte in ihrer Herkunftsfamilie bis ins Kleinkindalter Vernachlässigung und Gewalt erlebt, besonders durch die Mutter. Sie wurde schließlich auf Veranlassung des Jugendamtes aus der Familie herausgenommen. Zunächst lebte sie in einer Pflegefamilie; weil sie dann aber während der Zeit der Vorpubertät extrem schwierig wurde und die Pflegeeltern sich mit ihrer Erziehung total überfordert fühlten, kam sie ab dem 12. Lebensjahr in eine Einrichtung der stationären Jugendhilfe. Dort begann sie zunächst unregelmäßig, später regelmäßig Alkohol und Drogen zu sich zu nehmen, auch stimuliert durch die anderen Jugendlichen, und nahm mit ersten kriminellen Handlungen und Umherstreunen eine dissoziale Entwicklung. Sie wurde mit 16 schwanger und wurde noch vor der Geburt ihres Babys in ein Mutter-Kind-Heim aufgenommen, wo sie von pädagogischen Mitarbeiterinnen liebevoll versorgt wurde.
    Trotz dieser intensiven pädagogischen Versorgung mit Ansprache, Kontakt und auch Hilfestellung bei der Pflege ihres Kindes kam es zur Misshandlung des Babys, das von der Mutter geschüttelt wurde. Ilona hatte große Angst vor einer Therapie, dagegen sehr große regressive Wünsche nach Versorgung, Gehaltenwerden, emotionaler Präsenz. Gleichzeitig konnte sie die Angebote von Schutz und Sicherheit oft nicht nutzen, weil ihr die erlebte Nähe und soziale Versorgung gleichzeitig große Angst machten, so dass sich jeglicher Bindungsaufbau mit ihr sehr schwierig gestaltete. Von den Mitarbeiterinnen im Mutter-Kind-Heim forderte sie eine extreme Nähe ein, während sie selbst gleichzeitig auf Distanz
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