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Bilder Aus Dem Berliner Leben

Titel: Bilder Aus Dem Berliner Leben
Autoren: Julius Rodenberg
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und die Häuser wie ausgestorben. Nur sonntäglichen Spaziergängern begegnen wir. Aber wie sehr dies Berlin eine wachsende Stadt ist, eine Stadt, die sich beständig verändert, verschönert, vergrößert, das sieht man auch am Sonntag, wenn die Arbeit ruht. Die Königskolonnaden und die Königsbrücke sind noch da, ein bewundertes Werk aus der Zeit Friedrichs des Großen; aber die Sandsteinfiguren und die jonische Säulenlaube,die so schön waren, als sie noch rein und weiß waren, sind inzwischen ganz verwittert, unter der Brücke ist kein Wasser mehr, und sie selber wird auch bald nicht mehr sein. Auf dem trockenen Bette des weiland Königsgrabens erheben sich die Strukturen eines anderen Werkes, der Stadtbahn, welche so recht im Geist der neueren Zeit rücksichtslos fortschreitet durch unsere Straßen, zerstört, was ihr im Wege ist, und bald mit ihrem steinernen Ring uns umschlossen haben wird; auch eine Stadtmauer, aber eine andere, als die einst hier gewesen, eine, auf der Leben und Bewegung ist, die den Verkehr beschleunigt, welchen jene gehemmt hat. Oh, über die gute, alte Zeit, wo jeder noch seine Bequemlichkeit und seine Ruhe hatte! Wo das, was man jetzt die allgemeine Wohlfahrt nennt, den einzelnen noch nicht verhinderte, an die seine zu denken! Wo noch nicht so viel Menschen auf der Welt waren und diejenigen, die darauf waren, noch nicht so viel Lärm machten! Wo noch Ruhe war in den Straßen und Gemütlichkeit in den Häusern! Wo noch kein Gerassel von Omnibussen war und kein Geklingel von Pferdebahnen, keine Kanalisationsarbeit, welche jahrelang bald hier, bald da die Stadt aufwühlt und in tiefe Gruben und unübersteigliche Sandberge verwandelt.
    Wer damals, vor hundert und etlichen Jahren, seinen Sonntagnachmittagsspaziergang hierher gemacht hätte, der würde noch keinen Alexanderplatz gesehen haben, sondern die Contreskarpe war da, und der Stelzenkrug war da, und ehrsame Bürger waren da, welche mit einem dreieckigen Hut und einem langen Zopfe, die tugendfesten Ehehälften am Arme, zu den umliegenden Gärten lustwandelten. Bedächtig war ihr Schritt und sauer der Wein, der sie dort erwartete; billig das Leben, geräumig ihre Stadt und die Zeit so wohlfeil wie ein gutes Abendessen, welches – wenn es aus drei wohlgekochten Gerichten,mit Butter und Käse, bestand – nach unserm Gelde 1 Mark 20 Pfennige kostete. Das einzige, was zu der Zeit teuer war, waren die Briefe, indem zum Beispiel ein Brief »ins Deutsche Reich« (muß bis Duderstadt frankiert werden) vierzig und einer nach Elsaß und Lothringen sogar siebzig Pfennige kostete. Da sieht man, wie die Zeiten sich geändert haben. Außer Briefschreiben gibt es jetzt kein billiges Vergnügen mehr auf Erden; und dazu hält manch einer das noch nicht einmal für ein Vergnügen. Diese braven Philister und Pfahlbürger aber wußten, was sie taten: sie schrieben Briefe so wenig als möglich, aßen zu Abend soviel als möglich und dankten ihrem Schöpfer, daß er alles so herrlich eingerichtet habe. Vielleicht kam um diese Zeit aus einer Nebenstraße, »der Kaie längs dem Graben linker Hand«, ein Mann in der Mitte seiner Dreißig, in Kniehosen, mit einem göttlich frohen Gesicht, welches gleichsam noch glühte von dem Widerschein schöner Gedanken wie der Himmel über ihm von dem warmen Gold der Junisonne. Dieser Mann, wenn er Wein trinken wollte, ging nicht in die Gärten vor dem Tore der Stadt, sondern er begab sich in ihr Inneres. Denn er verstand sich auf einen guten Tropfen und liebte die gute Gesellschaft, und beides fand er bei Maurer in der Brüderstraße, wo die »Quartbouteille guten Pontac« zehn Silbergroschen und die Bouteille Champagner einen Taler kostete. Gute Zeit, glückliche Zeit, wo Lessing seine »Minna von Barnhelm« schrieb und die Flasche Champagner einen Taler kostete! Die »Kaie längs dem Graben«, heute »Am Königsgraben« genannt, bestand damals aus lauter neuen Häusern; die sind inzwischen alt geworden, wo der Graben war, ist die Stadtbahn, und die Berliner Dichter, wenn sie just auch keine Stücke mehr schreiben wie Lessing, werden sich doch wohl hüten, da zu wohnen, wo er gewohnt hat.
    Hier aber beginnt meine Gegend. Wo Lessing vorübergeschritten, rasselt ein Kremser aus Friedrichsfelde träge heran und stellt sich an dem Springbrunnen auf. Hier in Sonne getaucht, dort in Schatten gelagert, liegt der Alexanderplatz, und vor mir öffnet sich die Landsberger Straße. Keine neue Straße, nach dem heutigen Begriffe;
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