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Bilder Aus Dem Berliner Leben

Titel: Bilder Aus Dem Berliner Leben
Autoren: Julius Rodenberg
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gefaßt, den Boden seiner Väter zu verlassen und eines von den schönen neuen Häusern in der Straße zu kaufen, die damals noch die Grabenstraße hieß und nachmals Königin-Augusta-Straße genannt wurde, zur Erinnerung daran, daß Ihre Majestät an schönen Winter- und Frühlingsnachmittagen hier zu promenieren liebte.
    Diese Dinge und noch manche andere ereigneten sich, als ich eines Abends an dem Tische in der Sofaecke, in welchem jetzt regelmäßig der Metzger mit seinem Sohn und die gemütliche Frau mit der hübschen Tochter zusammensaßen, eine zweite junge Dame wahrnahm, die schönste, die sich jemals in diesem Lokale gezeigt. Sie war elegant gekleidet, in der Mode der damaligen Zeit, und sie war ein so liebliches und zierliches Geschöpf, daß man das Auge nicht von ihr abwenden konnte – was außer mir auch noch der ledige Schachspieler zu empfinden schien, der in der Tat in einer seltsamen Aufregung war. Mehrmals hatte ich die junge Dame heimlich angeblickt, ohne mich auf sie besinnen zu können, als sie plötzlich – der ci-devant-Metzger mußte wohl eine besonders komische Geschichte zum besten gegeben haben – laut auflachte. An diesem Lachen erkannte ich sie – es war dasselbe fröhliche Gelächter aus der Kinderzeit, das mich damals so geärgert und heute mit einem süßen Reiz der Wehmut an den ersten Apfelkahn und die entschwundenen Jahre und die gefällten Pappeln erinnerte. Doch mitten in ihrem Gelächter hielt sie inne, die ältere der beiden Schwestern – ihr Blick streifte den vereinsamten Schachspieler, und sie errötete, was zur Folge hatte, daß auch er ganz rot wurde.
    »Aha, Mutter«, flüsterte ich der Wirtin zu, die in diesem Augenblick die Runde machte, »daraus kann etwas werden!«
    »Aber sie müssen sich beeilen, wenn sie's in diesem Lokal noch fertigbringen wollen«, erwiderte sie, »ich habe den Garten verkauft. Übrigens ist sie jetzt ein reiches Mädchen – sehen Sie nur, wie sie sich trägt –, sie hat einen reichen Onkel beerbt, der sie auf seine Kosten hat erziehen lassen, und er (mit einem Blick auf den Schachspieler) ist seit gestern Stadtrichter.«
    »Eins wäre genug gewesen«, bemerkte ich.
    Aber die Wirtin zuckte die Achseln, indem sie sich mit den Worten entfernte: »Na, so 'n Berliner Stadtrichter!«
    Unter so glücklichen Auspizien habe ich die kleine Gartenwirtschaft zum letzten Male gesehen. Ich verließ Berlin für mehrere Jahre, und als ich von meinen Reisen heimkehrte und unterwegs, fast im letzten Augenblicke noch, beinahe Schiffbruch gelitten hätte, wie ich im Eingang dieses wahrheitsgetreuen Berichts erzählt habe, da war das kleine Wirtshaus niedergerissen, der Garten als Baustelle eingehegt, wie man ihn heute noch sehen kann, und nur noch eine von den drei Pappeln, die letzte, stand am äußersten Rande desselben. Oft von meinem Fenster aus habe ich nach ihr ausgeschaut; aus seiner Höhe herab hat dieser alte Baum jahrelang auf mich niedergeblickt, wenn ich bei der Arbeit saß, und mir gleichsam ermunternd zugenickt, wenn ich von derselben aufstand. Oft in der Dämmerung sah ich seinen Wipfel hin- und herbewegt vom Abendwind, und dann war's mir ordentlich, als ob er leise spräche oder sänge als ob Lieder durch seine starken Äste zögen, Liebeslieder, Wiegenlieder, Lieder von häuslichem Glück und Frieden. Wie ein Andenken aus alter Zeit und eine Verheißung der Natur, die immer weiter hinausgetrieben wird aus dem steinernen Umfange von Berlin, war mir dieser Baum. Ich habe ihn geliebt, wie keinen zweiten Baum in Berlin – und heute ist auch er nicht mehr.Als ich heute meinen Morgenspaziergang machte, da lag er da, geknickt, abgebrochen vom Sturm. Viele Menschen standen um ihn her, um den zerstückten Stumpf, der noch in seinem Tode einen frischen Erdgeruch ausströmte. Unter vielen anderen erkannte ich auch die beiden schönen Schwestern – ansehnliche Frauen jetzt und von einem halben Dutzend Kinder umgeben, welche beladen mit Paketen und Schächtelchen vom Weihnachtsmarkte kamen. Ich hatte sie lange nicht gesehen und von ihrem ferneren Geschicke nichts erfahren; aber es freute mich, daß wir uns wieder trafen, gleichsam bei dem Begräbnis dieses Baumes, der in ihre Kinderzeit und meine Jugend gerauscht. Die eine hörte ich »Frau Stadtgerichtsrat« titulieren, so daß nicht nur an ihrer Identität, sondern auch an dem erfreulichen Avancement ihres Gatten, des mehrerwähnten Schachspielers, kein Zweifel war. Was die andere betraf, so war sie
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