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Bilder Aus Dem Berliner Leben

Titel: Bilder Aus Dem Berliner Leben
Autoren: Julius Rodenberg
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Spargnapani schräg über, auf der Nordseite der Linden, war die Konditorei der literarischen und mehr noch der Gelehrtenwelt; hier, außer den unentbehrlichsten Tagesblättern, hatte man die kritischen Journale jener Zeit, und diese waren die begehrteren. Aber man mußte früh kommen am Montagmorgen, wenn man statt der sehnlich erwarteten neuen Nummern nicht die zerlesenen der vorigen Woche finden wollte. Denn die Konkurrenz war groß und die List, mit der einer dem anderen den Vorsprung abzugewinnensuchte, noch größer. Das kleine Regal, welches alle diese Schätze barg, war stets belagert, und man betrachtete jeden, der davorstand, als seinen persönlichen Feind. Man wußte genau, mit wem man im einzelnen Falle den Kampf aufzunehmen habe, zum Beispiel wegen des Londoner »Athenaeum« oder Prutzschen »Museum«; und hatte man das Unglück; eine Minute später einzutreffen als er, so mußte man sich damit begnügen, den Sieger nicht mehr aus dem Auge zu lassen. Und es waren keine freundlichen Blicke, die man ihm zuwarf. Heute noch, wenn ich einen solchen, sonst durchaus harmlosen Manne begegne, der unterdes sein gesetztes Alter erreicht hat wie ich selber, überkommt mich etwas von der Ungeduld der Jugend, und ich möchte ihn doch nein! ich will nicht sagen, zu welch bösen Gedanken man sich hinreißen ließ, wenn man bei Spargnapani wartend saß. Denn sie waren gründliche Leser, diese Herren, und Stunde nach Stunde verrann, bis endlich sie das letzte Blatt umgeschlagen und nun – o schrecklichste der Enttäuschungen! – wenn man sich auf seine schwer errungene Beute zu stürzen dachte, der weißgeschürzte Kellner dazwischentrat mit den kühlen Worten: »Bitte, das Journal ist schon bestellt.« Es ist gut, daß damals die Zeit billiger war in Berlin als heute; ich würde sonst ein kleines Vermögen mit dem »Athenaeum« allein verloren haben. Aber diese Zeitschriften, die nur alle Wochen kamen, waren nichts gegen die Zeitungen, die jeden Tag erschienen. Dort galt Verschlagenheit und Geduld, hier aber galt die nackte Gewalt und das Faustrecht. Niemals, in allen meinen juristischen Kollegien, ist mir das Savignysche Recht des Besitzes so klar geworden wie in diesen Konditoreien. Denn hier saßen die Leute auf den Zeitungen, die sie lesen wollten, nachdem sie ihre Tasse Kaffee getrunken oder ihr Stück Kuchen gegessen hatten. Es gab kein anderes Mittel, sichdieselben zu sichern. Einige waren auch da, die noch weitergingen: Sie hatten zwei Zeitungen vor sich, die sie lasen, und zwei Zeitungen, die sie lesen wollten, unter den Armen und zwischen den Knien, und sie hüteten diesen ihren Raub mit der Wildheit des Tigers, weswegen sie »Zeitungstiger« hießen. Jede dieser Konditoreien hatte ihren Zeitungstiger, und sie waren gefürchtete Menschen. Sanft aber und gütig, stets mit einem verbindlichen Lächeln um die Lippen, waltete hinter dem Ladentische Herr Spargnapani seines Amtes; auch er einer von den klugen Graubündnern, die, von ihren Bergen herabgestiegen, zu Rang und Reichtum gelangten in der edlen Kunst der Zuckerbäckerei. Die Welt ist nüchterner oder substantieller geworden seitdem, und Herr Spargnapani, der nach der Natur seines Metiers nur mit dem Idealismus rechnen konnte, hat sich zurückgezogen. Seine Konditorei hat sich in eines der elegantesten Restaurants verwandelt, und wer jetzt die glänzenden Räume betritt, wird sie nicht wiedererkennen. Aber es ist die Frage trotzdem, ob wir nicht glücklicher und froher waren in den Tagen des »Athenaeum« und des dünnen Kaffees als in diesen der Austern und des Champagners, wiewohl ich auch gegen sie nichts sagen will. Denn sie sind beide vortrefflich bei Dressel, nur ein wenig teuer.
    Von der andern Konditorei, welche nach der Dynastie Stehely genannt wurde, ist nicht einmal soviel als das Lokal übriggeblieben. Sie war die Konditorei der Journalisten und Politiker und lag dem Gendarmenmarkt gegenüber, an dem Teil der Charlottenstraße, welcher in den letzten zehn Jahren bis zur Unkenntlichkeit umgestaltet worden ist. Nur der König Salomo, mit dem biblischen Talar bekleidet, mit Krone und Halskette, lange Zeit das Wahrzeichen dieser Gegend, ist wieder aufgerichtet worden an dem unterdes neu erstandenen Prachtbau dereinst so bescheidenen König-Salomo-Apotheke. Doch von der Beletage, vor welcher er ehemals in aller Bequemlichkeit residiert, ist er nun hinaufgerückt bis hoch über den vierten Stock, in eine Art Türmchen über dem Dach, wo man den alten
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