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Bilder Aus Dem Berliner Leben

Titel: Bilder Aus Dem Berliner Leben
Autoren: Julius Rodenberg
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ich noch einmal des »Grünen Heinrichs« gedenken, daß, wie Ruhe in der Bewegung die Welt hält und den Mann macht, so auch hier (in der Dichtung) »nur Schlichtheit und Ehrlichkeit mitten in Glanz und Gestalten herrschen müssen, um etwas Poetisches oder, was gleichbedeutend ist, etwas Lebendiges und Vernünftiges hervorzubringen«.
    So fand ich ihn, als ich ihn zum ersten Male wiedersah seit dem Begegnen in Berlin, unverändert, bis auf den ergrauenden Bart; und so schaut auf mich herab sein Bild, dessen geschnitzten Rahmen das Schweizerkreuz und ein welker Rosenstrauß schmücken.
    Noch eine liebe Gabe bewahren wir von ihm: ein stimmungsvolles Blatt, welches eine Waldlandschaft darstellt und die Unterschrift: »Berlin 1855« trägt. Auf die Rückseite hat er folgende Verse geschrieben:
    Dies trübe Bildchen ist vor dreiundzwanzig Jahren
Im einstigen Berlin mir durch den Kopf gefahren;
Mit Wasser wurd es dort auf dem Papier fixieret,
Von Frau Justinen nun dahin zurückgeführet,
Wo es entstand, vom regnerischen Zürichsee
Bis hin zur altberühmt- und wasserreichen Spree.
Auf Wellen fähret so, ein Niederschlag der Welle,
Des Lebens Abbild hin, die blöde Aquarelle.
    Zürich, 29. August 1878.
Gottfr. Keller.
    Reminiszenz einer Reihe von Regentagen, die wir dennoch, in der Nähe des verehrten Mannes, froh verlebten, zeigen auch diese Zeilen, daß das Andenken Berlins bei Keller nicht erloschen ist. Er hat ihm mehrere Gedichte gewidmet, so das vom Tegelsee, den er besucht, wenn ihn das Weh nach der Heimat ergreift; so das von der Polkakirche, dem Weihnachtsmarkt, der Biermamsell,deren Witz noch eher angeht als ihr bayrisch Bier; so das vom Sonntag –
    Fernhin watet in dem Sande
Staubaufregendes Volk Berlins –,
    so das schönste von allen, »Berliner Pfingsten«, wo der Dichter von drei rüstigen Weibern drei frischgewaschene Mädchensommerkleider an Stangen über die Straße tragen sieht – wahrscheinlich aus dem »Leinen- und Wäschegeschäft von J. W. Tietz« im Hause der Mohrenstraße Nr. 6, in welchem der Dichter damals wohnte.
    Lustig blies der Wind, der Schuft,
Falbeln auf und Büste;
Und mit frischer Morgenluft
Füllten sich die Brüste;
Und ich sang, als ich gesehn
Ferne sie entschweben:
Auf und laßt die Fahnen wehn,
Lustig ist das Leben!
    Es waren fünf der wichtigsten Jahre seiner Entwicklung, 1850 bis 1855, welche Keller, von der Malerei zur Literatur übergehend, in Berlin zugebracht hat. Hier, an der Dreifaltigkeitskirche, dem heutigen Kaiserhof gegenüber, an dessen Stelle damals eine Apotheke stand, in dem Hause Kanonier- und Mohrenstraßenecke Nr. 6, noch heut ein altmodischer Bau, wie er Keller gefallen haben mag, mit Bogenfenstern und allerlei seltsamem Zierat an den Wänden (jetzt aber leider ohne das Leinen- und Wäschegeschäft), hat er den »Grünen Heinrich« vollendet, und in einem andern stillen Winkel, der nunmehr verschwunden ist, dem »Bauhof«, zwischen Dorotheenstraße und Kupfergraben, einen Teil seiner »Leute von Seldwyla« geschrieben; hier aber auch Anregungen empfangen, die heute noch in ihm nachwirken. Bevor ernach Berlin ging und immer nachher hat Keller eine Brille getragen; in Berlin nicht – »vielleicht aus Eitelkeit nicht«, meinte er bei unserem jüngsten Zusammensein lächelnd in seiner eigentümlich kurzen Weise, »und daher mag es wohl auch kommen, daß ich in Berlin nichts gesehen habe«, was indessen nicht buchstäblich zu nehmen ist. Man braucht diese Saite nur zu berühren, und sie beginnt zu klingen. Das Leben »im einstigen Berlin«, wie Keller von dem sagt, das er gekannt, war – wenn in jeder andren Hinsicht dürftiger, kümmerlicher als das heutige – doch von einer stärkeren literarischen Atmosphäre. Man hat viel über die ästhetischen Tees jener Tage mit ihren durchsichtigen Butterbroten – und welches Brot und welche Butter! – gespottet; aber die Literatur stand sich dabei doch besser als bei den opulenten Diners, welche jetzt Mode sind.
    Von größerer Bedeutung noch waren die Konditoreien, die man damals »Lesekonditoreien« nannte: die Sammelplätze des geistigen Lebens und von bestimmendem Einfluß auf die öffentliche Meinung. Allen gemeinsam waren die großen Tassen, anzusehen wie die Bowlen oder die Kübel, und die beiden neusilbernen Kannen, aus deren einer der Kaffee, aus deren anderer die Milch in unversiegbaren Strömen floß. In jeder sonstigen Hinsicht hatte jede von ihnen ihren besonderen Charakter und ihre Spezialität.
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