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Beziehungswaise Roman

Beziehungswaise Roman

Titel: Beziehungswaise Roman
Autoren: Michel Birbaek
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höre ich denn deinen AB ab?«, fragt sie entrüstet. »Tust du nicht?«
    »Hör es dir selbst an.«
    Prima. Ich lehne mich wieder zurück. Tess wendet ihr Gesicht nach hinten und lächelt mich über ihrer Schulter an. »Ist bestimmt was Tolles.«
    »Na klar«, sage ich und weiß, dass die beiden jetzt da vorne einen bedeutsamen Blick tauschen, denn negative Aussagen sind ja Selbstprophezeiungen, und vielleicht ist mein Karriereknick ja bloß so eine verdammte Karmasache, nicht? Nein. Im Gegensatz zu den beiden Träumerinnen da vorne sehe ich es realistisch: Mit meiner Karriere geht es bergab. Genauer gesagt: flussab. Damals, als Stand-Up nach Deutschland kam, profitierte ich von dem Boom und hatte das Glück, bei einer großen Agentur unterzukommen. Eine Zeit lang lief es gut; Festivals, Touren, TV, dann ließ der Boom nach, und die Spreu trennte sich vom Weizen. Die neuen Comedians wurden professioneller, und ich hätte eine Menge an meiner Performance tun müssen, doch ich feilte lieber an den Texten. Das war gut für die Texte und schlecht für die Show. Zuerst rutschte ich aus den Castings, dann aus den Festivals, dann tourte ich durch immer schlechter besuchte Kleinkunstbühnen für immer niedrigere Gagen, und nachdem ich in den vergangenen zwei Jahren Messen, Autohaus- und Kaufhauseröffnungen moderierte, zog ich letztes Jahr im Sommer das große Los: einhundertdreiundzwanzig Soloabende auf einem Clubschiff. Das Durchschnittsalter des Publikums höher als der Cholesterinwert von Rainer Calmund, und eine erste Reihe, die um neunzehn Uhr einschläft – so viel Realismus hält kein Traum aus. Manche enden mit der Karriere in der Provinz, ich auf See. Ich müsste eigentlich ein neues Programm schreiben und damit wieder an Land gehen, doch mir fällt seit Jahren nichts ein. Mein neuester Text ist drei Jahre alt und ohne Programm keine Tour. Also steche ich weiter in See.
    Plötzlich fühle ich mich müde. Fünf Minuten über meineKarriere nachzudenken reicht, um den Urlaub zu einer fernen Erinnerung zu machen. Neben mir starrt Arne zu einem Flugzeug hoch, das über uns im Landeanflug ist. Er bekämpft die Ausweitung des Flughafens mit allen Mitteln. Er hat keine Chance, es zu verhindern. Doch er kämpft. Er hat sich seine Leidenschaft bewahrt. Er kann noch hassen, der Glückliche.
     
    Frauke findet einen Parkplatz direkt vor der Tür, doch da endet die Glückssträhne, denn als wir aussteigen und das Gepäck ausladen, kommt eine Frau nuschelnd auf uns zu. Ich will ihr gerade die Hofeinfahrt von der psychiatrischen Klinik gegenüber zeigen, als sie mir um den Hals fällt.
    »Drink doch eine met!«, raunt sie.
    Ich schaue sie entgeistert an.
    »Was?«
    »Stell dich nit esu ahn!«, lallt sie.
    Ich lehne mich zurück, um ihrem toxischen Mundgeruch zu entkommen, und mustere ihr stark geschminktes Gesicht. Nie gesehen.
    »Du steihs he de janze Zick eröm! Röm Röm! Zick eröm! !« Endlich erkenne ich, dass ihre Bekleidung wohl eine Art Kostüm darstellen soll. Als eine fellbehängte Husarinnengruppe singend um die Ecke biegt, stelle ich den Bezug zu dem Text her. Ich werfe Tess einen bösen Blick zu, aber sie winkt die Husarinnen lachend näher.
    »Kölsche Mädche! Kütt her! Hee han mer eine leckere Prinz!«
    Die Husarinnen heulen begeistert auf.
    »ECHTE FRÜNDE STON ZESAMME!«
    Tess und Frauke stimmen sofort ein:
    »STON ZESAMME SU WIE EINE JOTT UN POTT!«
    Arne verdrückt sich mutig durch das Hoftor. Ich würde ihm gerne folgen, doch die Besoffene klammert sich anmich und fordert lauthals Büüüützje. Wir tanzen einen kurzen Tanz, dann kann ich mich befreien. Ich schnappe meinen Koffer und flüchte, gefolgt von hämischem Gelächter, in den Hof. Als ich das Tor hinter mir zuschlage, wird draußen auf der Straße bereits fröhlich Schwesternschaft geschlossen. Prima. Direkt an Weiberfastnacht in Köln landen. Ich muss wirklich aufhören, Tess die Flüge buchen zu lassen.
    Als ich durch den Innenhof gehe, springt die Künstlerkatze von der Mauer und kann plötzlich nicht mehr ohne meine Beine leben. Ich lasse den Koffer los, bücke mich, packe sie, richte mich auf und werfe sie in die Luft. Sie segelt anstandslos über die Mauer in den Nachbarhof und landet geräuschlos auf der anderen Seite. Das sollte ihr Gedächtnis auffrischen.
    Ich öffne die Hallentür und betrete die Halle, die dunkel daliegt. Nur hinten in Arnes Zimmer brennt Licht. Siebenhundert Quadratmeter Wohnfläche. Erstanden für einen Spottpreis,
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