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Beziehungswaise Roman

Beziehungswaise Roman

Titel: Beziehungswaise Roman
Autoren: Michel Birbaek
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Stan hebt den Schleier der Braut, und als er sie küsst, ist es für einen Augenblick, als würde die Welt Atem holen. Dann brechen Influenza und TBC gleichzeitig über die Kirche herein – es wird geschnieft, geschluchzt, gehüstelt, gejubelt und applaudiert. Wir klatschen und pfeifen. Tess wischt sich verstohlen über die Augen und lehnt sich an mich. Ich drücke ihre Hand noch mal. Sie wirft mir einen seltsamen Blick zu, bevor sie wieder nach vorne schaut, wo sich das Brautpaar immer noch küsst. Ist nicht schwerzu erraten. Frau liebt Mann. Mann liebt Frau. Seit sieben Jahren. Sie stehen in einer Kirche. Schon wieder bei einer Hochzeit. Schon wieder nicht ihre eigene.
     
    Fünfzehn Stunden später hänge ich an einer Mahagonitheke, trinke Espresso und versuche nüchtern zu werden. Nach der Trauung fuhren wir in einen Festsaal, in dem ein Büfett, Champagner, schöne Reden und eine grandiose Salsaband auf uns warteten. Als der Party zehn Stunden später die Luft ausging, zauberte das Brautpaar noch eine Überraschung aus dem Hut: Zwei Stretchlimousinen brachten die letzten zwanzig Partywütigen nach L.A. in den Sunset Room, den Club von Bruce Willis und Will Smith. Und da sind wir jetzt. Tess tobt sich auf der Tanzfläche aus, und ich führe so etwas wie eine Unterhaltung mit einem dänischen Regisseur, der nach Hollywood ging, um aus einem kleinen, billigen Film ein großes, teures Remake zu machen. Hat er scheinbar hinbekommen. Reicher und bekannter ist er geworden. Aber gratulieren darf man ihm nicht, denn eigentlich würde er lieber wieder mit seinen Kumpels in Kopenhagen herumhängen und kleine billige Filme machen. Als ich ihn frage, wieso er das nicht tut, schaut er mich erstaunt an und erklärt, dass er ja nicht weg kann, solange alles so great läuft. Dann beginnt er wieder, seine missliche Lage auszuweiden.
    Ich ordere mir einen weiteren Espresso und schalte auf Durchzug. Erfolg in Hollywood. Seine Probleme möchte ich haben. Zweitklassiger Comedian in einer erstklassigen Agentur, zweitklassige Beziehung mit einer erstklassigen Frau. Beides geht schon viel zu lange gut. Oder schlecht. Wie man es nimmt.
    Der Espresso kommt. Ich nippe an der heißen Tasse und schaue mich um. Der Raum ist brechend voll. Vielleicht auch, weil man theoretisch die Besitzer treffen könnte.
    Solche Aussichten locken – und wer weiß, vielleicht ist wirklich einer der ganz Großen hier. Ich versuche einen Blick in den VIP-Raum zu werfen, aber der Security lächelt nur bedauernd. Sogar ein amerikanischer Security weiß scheinbar über meine Karriere Bescheid.
    Mein Blick bleibt an der Tanzfläche hängen. Die Braut hat das Brautkleid gegen ein weißes Ballkleid getauscht. Ein absoluter Hingucker. Doch ich sehe nur Tess, die daneben in ihrem blauen Kleid abgeht. Sie lacht und strahlt und rockt. Ihre Energie ist ansteckend. Dementsprechend wird sie belagert. Ich weiß, es ist primitiv und trallala, aber es macht mich stolz, dass mein Mädchen auf einer Hollywoodtanzfläche angegraben wird. Noch vor ein paar Jahren hätte ich sie auf der Stelle raus auf den Parkplatz gezogen, um ihr meinen Stolz zu zeigen. Gute alte Zeiten.
    Der Regisseur merkt, dass unsere Szene nicht richtig funktioniert. Er streicht meine Rolle aus seinem Werk und geht. Kaum ist er weg, stellt sich ein durchgeschwitzter Stan zu mir an die Theke. Sein Smoking klebt an ihm wie ein nasser Sack. Er wirft einen Blick auf meinen Espresso, steckt zwei Finger in die Tasse, zieht sie wieder raus und mustert seine Fingerspitzen.
    »Was soll der Scheiß?«, fragt er angewidert.
    Ich kneife die Augen zusammen.
    »Zwei Finger. Vermutlich menschlich. An den Spitzen klebt eine braune Flüssigkeit. Vermutlich sehr teurer Espresso, den das Opfer sehr nötig gehabt hätte, um nüchtern zu werden. Genaueres wissen wir erst nach der Spektralanalyse.«
    »Nüchtern«, sagt er.
    »Ein Zustand, in dem einem nicht schlecht ist«, erkläre ich ihm.
    Er schaut mich angewidert an, lässt seine Finger sinken, schiebt die Tasse weit zur Seite und winkt dem Barmannzu, der Ähnlichkeiten mit Tom Cruise hat und Cocktails mit einer Attitüde zubereitet, als wären alle nur hier, um ihm beim Mixen zuzuschauen.
    »Außerdem habe ich mich ein bisschen mit meinen neuen Freunden unterhalten. Sie haben Erfolg, und das finden sie great. Trotzdem ist alles scheiße, aber das finden sie auch great.«
    »Jammern auf Hollywoodniveau«, sagt er und winkt Tom noch mal, der sich aber bei seiner Show nicht
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