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Beziehungswaise Roman

Beziehungswaise Roman

Titel: Beziehungswaise Roman
Autoren: Michel Birbaek
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schließt die Augen, atmet tief durch und wird schwer. Nach wenigen Augenblicken schläft sie. So viel zum Thema Funke ins Bett retten.
    Auf dem Bildschirm beschimpft eine Frau ohne Augenbrauen einen Jungen im Teenageralter. Das Publikum applaudiert begeistert. Auf der gegenüberliegenden Sitzbank macht Stan sich über die Braut her. Er knutscht, sie kichert, beide fummeln, ich schätze, der Hochzeitsmorgen wird es in sich haben.
    Ich fahre ein Fenster runter, atme die frische Nachtluft ein, die durch das Fenster hereinströmt, beobachte das Brautpaar und denke an den Sommer, als ich Tess kennen lernte. Die vielen Nächte ohne Schlaf. Zu verliebt, um schlafen zu können. Hauptsache zusammen sein. Miteinander. Füreinander. Ineinander. Durchatmen. Lachen. Pläne schmieden. Perspektiven schaffen. Geheimnisse verraten. Und nach der völligen Übersättigung auseinandergehen, um sich ein paar Stunden später zu vermissen. Gott, wieich dieses Vermissen vermisse. Doch die Leidenschaft ist durch etwas ersetzt worden, was ich ebenso liebe: lieben statt verliebt sein, vertrauen statt entdecken, chillen statt toben, Insiderwitze statt Überraschungen. Dieses Lieben ist großartig. Wenn die Nebenwirkungen nicht wären. Hallooo! Du sitzt in einer Stretchlimousine. Die Frau, die du liebst, liegt aufdir, und vor deinen Augen praktiziert ein Brautpaar Petting. Falls das noch Petting ist. Also sei doch mal kurz amerikanisch – nimm was gegen die Depressionen, relax und genieß die Show!
    Auf dem Bildschirm halten sich jetzt alle im Arm und weinen. Das Publikum applaudiert begeistert. Ich nehme einen Schluck aus der Flasche und schnuppere an Tess’ Haaren, die, egal nach welcher verrauchten Nacht, nach Äpfeln riechen. Keine Ahnung, wie sie das macht. Auch sieben Jahre alte Beziehungen haben ihre Geheimnisse. Stella gibt ein Geräusch von sich. Ich schaue rüber. Sie rutscht unruhig auf der Sitzbank herum. Stans Hände haben sich in Lust aufgelöst. Ein perfekter Zeitpunkt, um ihm den Hochzeitsspruch heimzuzahlen.
    »Leute, ich könnte was essen ...«
    Keine Reaktion.
    »He, ist es bei euch üblich, dass die Hochzeitsgäste verhungern?«
    Stan zaubert kurz eine Hand aus Stellas Kleid hervor, um mir einen Finger zu zeigen, Stella nutzt die Gelegenheit, um sich aufzurichten und die Armaturenleiste zu mustern.
    »Welcher ist es?«
    Stan wirft mir einen Blick zu und zeigt missmutig auf einen Knopf. Sie drückt drauf, die Trennscheibe fährt runter. Sie bittet den Fahrer, am nächsten Drive-in zu halten, dann fährt die Scheibe wieder hoch, und Stan will Stella wieder an sich ziehen. Ich bin schneller.
    »Stella, sag mal, nach dem Po von J.Lo, wie geht’s da weiter? Was ist der nächste Schritt auf der Karriereleiter?«
    Sie wehrt lächelnd die Hände ihres Ehemanns ab und schaut zu mir rüber.
    »Mein Agent meint, man könnte vielleicht meine Hände katalogisieren.«
    Ich starre sie an.
    »Es gibt Kataloge für Hände?«
    Sie wirft mir einen überraschten Blick zu.
    »Ja, sicher.«
    Stan versucht sie an sich zu ziehen, doch sie lehnt sich etwas zurück und klopft sich auf den Bauch.
    »Eine Saison war ich sogar im Bauchkatalog. Da war ich noch in Form.«
    Sie schaut bekümmert an sich herunter. Gemeinsam mustern wir ihre gertenschlanke Taille. Stan wirft mir einen Blick zu, aber so besoffen bin ich auch nicht. Sag einer Frau, die sich für zu dick hält, nie, dass sie eine Frau ist, die sich für zu dick hält. Sie wird dir nie wieder ein Wort glauben.
    »Hm, na ja, du hast dich vielleicht ein bisschen gehen lassen, das ist doch normal, wenn man heiratet. Aber du bist prima veranlagt, ich glaube, mit etwas Training kriegst du das wieder in den Griff.«
    Sie strahlt mich an, dann dreht sie den Kopf und kuschelt sich an Stan.
    »Deutsche Männer sind so charmant.«
    »Stimmt«, sagt er. »Und Lasse ist Däne.«
    Sie schaut zu mir rüber und will etwas sagen, doch Stan zieht sie an sich. Schon bald dringen wieder Wohlfühlgeräusche herüber. Ich streichele Tess’ Rücken, trinke einen Schluck und genieße den kühlen Fahrtwind, dem man es anmerkt, dass er die erste Möglichkeit wahrnehmen wird, um warm zu werden. Ich stecke den Kopf aus dem Fensterund schließe die Augen. Der Wind zerrt an meinen Haaren. Schön ist das.
    Eines der Dinge, die mich an der Natur faszinieren, ist es, dass es für alles einen Grund gibt. Nichts passiert grundlos. Gar nichts. Dass Stan Stella jetzt so begehrt, damit soll er zur Fortpflanzung animiert werden.
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