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Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos
Autoren: Sabine Thiesler
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hörte. Denn meine Mutter war gar nicht mehr zu beruhigen.
    Ich hab mich hingesetzt und ihn auf meinen Schoß gezogen. Er war so steif wie ein Stück Holz.
    ›Du weißt doch ganz bestimmt, wo deine Schwester ist‹, hab ich geflüstert. ›Sie ist doch immer bei dir. Raffael, bitte! Es muss doch einen Grund dafür geben, dass du allein gekommen bist. Erzähl es mir!‹
    Seine Augen blickten in die Ferne, waren ganz starr und so erschreckend trocken.
    ›Kann es sein, dass Svenja in Not ist? Wenn du mir nicht sagst, wo sie ist, können wir ihr doch nicht helfen!‹
    Ich hab gebettelt und gefleht, aber er hat nichts gesagt. Gar nichts.
    Schließlich hab ich es aufgegeben und bin mit ihm zur Couch gegangen. Er hat alles mit sich geschehen lassen, sich brav hingelegt und die Augen zugemacht.«
    »Hat Ihr Mann sie gefunden?«
    »Nein. Aber er ist dann zu Hauke gegangen. Der war der Hauptmann der Freiwilligen Feuerwehr. Die beiden waren seit Jahren dicke Freunde.
    ›Ich brauch deine Hilfe, Hauke, sofort, noch heute Nacht‹, hat Karl gesagt, und mehr musste man bei Hauke auch nicht sagen. Wenn ein Freund um Hilfe bat, dann startete Hauke durch.
    Karl hat ihm das Problem geschildert, und Hauke gab Feueralarm.
    Es hat keine Viertelstunde gedauert, da waren zehn Mann da. Ein Teil machte sich auf den Weg, die Gräben abzulaufen und abzuleuchten. Ein anderer untersuchte den Tetenbüll-Spieker, das ist ein seeähnliches Staubecken vor dem Hafen. Soweit das alles in der Dunkelheit überhaupt möglich war.
    Aber sie suchten wenigstens. Sie taten etwas! Sie kämpften um mein kleines, zartes Kind, das immer noch irgendwo war. Irgendwo da draußen.«
    Christine schweigt und schließt die Augen.
    »Und dann? Was passierte dann?«
    Christine blickt auf und sieht Dr. Corsini an.
    »Um kurz vor oder nach elf – so genau weiß ich das nicht mehr – sind dann zwei Polizisten gekommen. Ein Mann und eine Frau. Kommissar Jens Kogler und seine Assistentin Britta Wencke. Wir haben uns zusammen mit meiner Mutter in die Küche gesetzt. Raffael war auf der Couch im Wohnzimmer eingeschlafen.
    Die Polizisten holten ihre Klemmmappen heraus und begannen eine endlose Befragung. Erst nach persönlichen Daten, dann nach all den Dingen, die fast nur meine Mutter beantworten konnte. Wann hatte sie die Kinder abgeholt, was hatte sie dann gemacht, was hatten die Kinder gegessen, war ihr irgendein merkwürdiges Verhalten an ihnen aufgefallen, wann gingen sie zum Spielen und wohin, wann wollten sie zurück sein, was hatten sie an und und und …
    Es war mir klar, dass das wichtig war, aber ich konnte es kaum aushalten. Diese beiden Hanseln malten da unendlich langsam in ihrer Klemmmappe Buchstaben, während meine Svenja vielleicht irgendwo weinte und auf ihre Eltern wartete. Ich hätte sie schütteln können.
    Aber meine Mutter beantwortete alle Fragen, soweit sie konnte, und ich hab mich gewundert, dass sie nicht mehr hysterisch war.
    Ich selbst war völlig am Ende, hab die beiden Bürokraten einfach nicht mehr ertragen.
    Dann kam Karl zurück. Unverrichteter Dinge, aber mit einem enorm energischen und entschlossenen Zug um den Mund.
    Die beiden packten gerade ihre Papiere zusammen und baten uns, unbedingt anzurufen, wenn irgendwas passiert. Wenn Raffael was sagt, falls sich ein möglicher Entführer meldet oder wenn Svenja wieder auftaucht. Sie wollten dann bei Tagesanbruch mit der Suche beginnen.
    Eine halbe Stunde lang ist Karl im Wohnzimmer auf und ab gegangen. Immer hin und her, ohne etwas zu sagen. Ich wusste, dass er nachdachte. Sein Kopf hatte ihn noch nie im Stich gelassen.
    Und je mehr er marschierte, desto wütender wurde er. Das sah ich ihm an. Seine Hilflosigkeit machte ihn rasend.
    Dann ging er nach oben ins Schlafzimmer, und ich hörte, wie er immer wieder mit der Faust oder der flachen Hand gegen die Wand schlug.
    Meine Mutter war vollkommen erschöpft in einem Sessel eingeschlafen, und ich hab mich wieder zu Raffael gesetzt, der wie tot auf der Couch lag, und sagte zu ihm: ›Bitte, Schatz, rede mit mir. Du bist doch mein großer, kluger Sohn und der Einzige, der mir helfen kann. Allein komm ich nicht mehr weiter.‹
    Raffael war offensichtlich wach und öffnete ein klein wenig die Augen.
    Ich hab einfach nur bei ihm gesessen und geweint.
    Und dann hat er mir ganz zart seine kleine Hand aufs Knie gelegt.
    ›Weißt du, Raffael, es gibt Geheimnisse auf der Welt, die sollte man keinem Menschen verraten. Wirklich keinem‹, hab ich
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