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Bevor du stirbst: Roman (German Edition)

Bevor du stirbst: Roman (German Edition)

Titel: Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
Autoren: Camilla Grebe , Åsa Träff
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Und nie so verletzlich.
    Dann denke ich an das Kind, das in mir heranwuchs. Und mit dem Kind wuchs auch der Traum von einer Familie: ich, Stefan und unser Kind. Aber es kam nie so weit, der Fötus war nicht lebensfähig, die Schwangerschaft musste abgebrochen werden, und für mich und Stefan tat sich die Hölle auf. Ich war natürlich traurig, gelähmt von Schock und Trauer nach der Abtreibung. Aber die Wochen vergingen, und auf irgendeine Weise kehrten das Leben und der Körper in den normalen Zustand zurück. Ich traf meine Klienten, war mit Freunden zusammen, und auch die Arbeit am Haus ging doch weiter. Die schien wirklich nie ein Ende zu nehmen. Sowie eine Arbeit erledigt war, entdeckten wir etwas anderes, das repariert werden musste.
    Aber bei Stefan war das anders. Während meine Stimmung sich verbesserte, versank er in einem seltsamen apathischen Zustand. Er verlor alle Energie, wurde wortkarg und unzugänglich. Machte seine Post nicht mehr auf. Zog sich zurück und mied soziale Kontakte.
    Das Einzige, was ihm noch wichtig war, war das Laufen. Er lief und lief und lief. Im letzten Winter ging er manchmal morgens mit seinen Spezialschuhen hinaus aufs Eis und kam erst am Nachmittag zurück. Im Laufe der Zeit wurde er immer magerer. Sein Desinteresse am Essen und das harte Training forderten ihren Tribut von seinem Körper. Die Wangenknochen schienen die immer dünnere Gesichtshaut wie Zeltstangen zu tragen. Sein Mund verwandelte sich in einen dünnen, blutlosen Strich, und um die Lippen breiteten sich wütend rote Hautrisse aus.
    Ich versuchte, mit ihm zu reden. Fragte, was los sei. Ob er wegen des Kindes traurig sei oder ob es an mir liege. Aber er ließ mich nicht an sich heran. Lag nur stumm im Bett, als wäre er bereits tot.
    Im Frühling schien dann alles leichter zu werden. Er lächelte wieder, lief weniger, wurde weicher, ließ mit sich reden. Aber ganz ließ er mich noch immer nicht an sich heran. Er schien ein Geheimnis zu haben. Etwas Schwarzes, Böses, das er im Sonnenlicht nicht zeigen wollte.
    Im Nachhinein glaube ich jetzt, dass er schon damals beschlossen hatte, sich das Leben zu nehmen, dass diese Entscheidung ihm auf seltsame Weise Frieden schenkte. Aber an diesem schmerzlich schönen Frühlingstag, als seine Freunde zu mir kamen, bei der Wäscheleine zwischen den Tannen standen und sagten, Stefan sei tot, da konnte ich es nicht in mich aufnehmen.
    Ein Unfall.
    Sie waren im tiefen Wasser getaucht, nicht weit vom Haus entfernt. Niemand wusste, was passiert war, warum Stefan trotz aller Erfahrung beim Tauchen die Kontrolle verloren hatte. Die Voraussetzungen waren perfekt gewesen. Gutes Wetter, keine Strömung, klare Sicht. Auch an der Ausrüstung war kein Defekt zu finden.
    Ein Gedanke, der zu wehtut, um gedacht zu werden. Er war zum Tod entschlossen.
    Und dann meine eigene, hoffnungslos egozentrische Deutung des Handlungsverlaufs – dass er von mir weggestorben war. Als hätte seine Tat sich auf irgendeine Weise gegen mich gerichtet. Als hätte sein Tod mit mir zu tun.
    Ich sehe Markus an, der die Augen schließt und weiter auf der Lakritzkugel herumkaut, spüre, wie mich wieder dieses warme, weiche Gefühl erfüllt, schließe die Augen, ruhe in dem Gefühl. Dass ich noch einmal in diesem Bett liege, in diesem Haus, mit einem Mann, den ich liebe, ist unfassbar und logisch zugleich. So sollte mein Leben doch werden. Hier sollte ich doch wohnen.
    Das Leben ist so viel größer als die Worte, denke ich. Und zerbrechlicher.
    Wieder sehe ich Markus an. Die zerzausten blonden Haare. Die bleiche, fast durchsichtige Haut, die blauen Adern, die sich unter der Oberfläche verstecken. Die fast kindlichen Züge. Zehn Jahre jünger als ich, wer hätte das gedacht? Sein Körper ist muskulös. Die großen Hände weisen Reste von Malerfarbe auf, und ein schmutziges Pflaster bedeckt den Daumen. Er ist hoffnungslos unbeholfen, schafft es immer, sich zu verletzen, wenn er hämmert, anstreicht, sogar wenn er kocht.
    »Ich räume die Kartons weg«, sage ich.
    »Und ich streiche danach neu an.«
    Ich lache. Küsse ihn wieder, diesmal auf den Mund.
    »Und dann streichst du neu an.«

Aina hält das schwarze Trägertop hoch. Mustert ihr Spiegelbild mit skeptisch gerunzelter Stirn und streicht sich eine blonde Locke hinter das Ohr.
    »Zu tief ausgeschnitten?«
    Ich zögere, überlege eine Sekunde.
    »Zu tief für was?«
    Sie lacht laut und wirft den Kopf in den Nacken.
    »Du bist doch einfach … keine Ahnung. Zu tief
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