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Bevor du stirbst: Roman (German Edition)

Bevor du stirbst: Roman (German Edition)

Titel: Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
Autoren: Camilla Grebe , Åsa Träff
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selbst. Er war … ich weiß nicht so recht. Gut klingt so hochtrabend, aber er war wirklich ein guter Mensch. Markus und ich haben es gut. Ich bin so unendlich dankbar dafür, dass wir uns kennengelernt haben. Dass wir einander gefunden haben. Und für Erik natürlich.«
    Aina, die inzwischen auch das schwarze Top angezogen hat, nickt nachdenklich, sagt aber nichts. Ich kann nicht entscheiden, ob es meine Erklärung oder etwas anderes ist, das sie zum Verstummen gebracht hat.
    »Markus ist auf irgendeine Weise viel lebendiger als Stefan«, sage ich.
    Und erst danach geht mir auf, was ich gerade gesagt habe.
    Ainas Lächeln ist besorgt und warm zugleich.
    »Ich freue mich so für dich«, sagt sie und legt ihre schmale, aber starke Hand auf meine Schulter. In dieser Geste liegt so viel Gefühl. Mir treten Tränen in die Augen, als ich dort in der unpersönlichen Umkleidekabine stehe mit meiner besten Freundin. Plötzlich bin ich stumm.
    »Gehen wir«, flüstere ich dann.

Samstagmorgen. Das Licht ist schärfer. Es trägt in sich ein Versprechen von Wiedergeburt, von Frühjahr. Aber in der Bucht liegt der Schnee fast einen halben Meter hoch, und vor dem Fenster höre ich Markus stöhnen, als er die Schaufel hebt und noch eine Schicht der kompakten Schneemassen wegschippt, die über Nacht gefallen sind. Es ist funkelnd schön, kalt und klar. Die Konturen scharf. Wenn ich aus dem Fenster schaue, kann ich im Schärengürtel mehrere Kilometer weit sehen. Weiße Felder mit kleinen Felskuppen. Hexenhäuser, wo sich aus den gemauerten Schornsteinen der Rauch schlängelt. Ein hellblauer Himmel. Und das weiße, scharfe Licht.
    Ich sehne mich hinaus. Sehne mich danach, Markus an der Hand zu nehmen und Erik in den Schlitten zu setzen und einfach loszugehen. Aber vor allem sehne ich mich nach der Wärme, nach der Sonne. Ich höre das Schmelzwasser auf die Fensterbank tropfen. Ich sehne mich nach dem Frühling, mit der Sehnsucht und der Intensität, wie sie nur durchgefrorene Nordlinge aufbringen können. Markus dagegen ist in seinem Element. Er findet es großartig, dass in Stockholm endlich richtig Winter ist, und ist überglücklich, weil wir auf unbestimmte Zeit Evas und Görans altes Schneemobil leihen konnten.
    Wenn wir frei haben, packt er uns mit Decken und Fellen in das Schneemobil, und dann fahren wir schnell, ganz schnell durch die Bucht und weiter hinaus, so weit wir uns trauen und wissen, dass das Eis uns trägt. Eriks Wangen leuchten rot, und die blauen Augen sind voll von Leben, von Lachen, von Jetzt. Immer wieder staune ich über die Fähigkeit meines Sohnes, vollständig im Jetzt zu sein, ohne irgendwelche Verbindungen zur Vergangenheit oder Zukunft.
    Aber jetzt schläft Erik in seinem Gitterbettchen, das neben unserem Doppelbett eingezwängt ist. Er hat von unserem Besuch in Norrland Fieber und Schnupfen mitgebracht. Eine weitere Infektion in der langen Reihe von geheimnisvollen Kinderkrankheiten, von denen die eine auf die andere folgt. Und ich sitze zusammengekrümmt auf unserem Dachboden, lasse meine Finger über graue, verstaubte Kartons streifen und zögere.
    Als ich mit Markus gesprochen habe, kam es mir so leicht vor, so selbstverständlich, Stefans Sachen durchzugehen. Jetzt fällt es mir plötzlich schwerer. Ich schaue mich auf dem Dachboden um. Meine alte Skikleidung. Stapel von Illustrierten aus dem vergangenen Jahrhundert, ein zerfetzter Sessel, den ich schon lange neu beziehen lassen will. Bücherstapel aus zerfledderten Taschenbüchern und psychologischer Fachliteratur. Und dann diese drei Kartons. Von denen ich weiß, dass ich sie nicht einfach wegwerfen kann, ohne sie zuerst sorgfältig durchgesehen zu haben.
    Denn trotz allem sind sie die Überreste seines Lebens.
    So viel bleibt also von einem Menschen übrig. So viel bleibt zurück – drei Umzugskartons mit dem Aufdruck »Bauhaus«. Alles andere habe ich schließlich weggegeben. Die Kleider. Die Taucherausrüstung, alle Bücher, die Musik. Was übrig blieb, ist hier. Briefe, Papiere, Notizbücher, Fotografien. Drei Kartons enthalten das, was von Stefan noch übrig ist, aber auch das, was wir waren. Was uns ausgemacht hat.
    Ich öffne den ersten Karton, sehe, dass er mit Fotos gefüllt ist. Nehme vorsichtig einen der blanken Umschläge heraus und ziehe die Bilder hervor. Ich in cremeweißem Kleid. Stefan im Anzug. Ich habe einen Strauß aus weißen Gerbera in der Hand. Die Tatsache, dass Stefan aussieht wie immer. Unverändert vom Gang der Zeit
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