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Beutewelt 01 - Bürger 1-564398B-278843

Beutewelt 01 - Bürger 1-564398B-278843

Titel: Beutewelt 01 - Bürger 1-564398B-278843
Autoren: Alexander Merow
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sich auch Frank Kohlhaas jeden verdammten Morgen.
    Nach zehn Stunden ging es dann wieder zurück nach Hause. Man war dreckig und müde, aber glücklich, dass zumindest die Arbeit vorbei war. Frank schlich durch den Hausflur seiner Etage, der selbst am Tage noch halbdunkel war und schloss die Wohnungstür auf.
    Auf dem Scanchip waren keine neuen Nachrichten und das war gut so, denn es waren ohnehin meist nur Rechnungen: Strom, Wasser und das ganze andere Zeug. Den Fernseher hatte Frank vor ein paar Tagen ins Schlafzimmer gestellt. Wenn er nicht einschlafen konnte, machte er ihn an. Nicht dass das Programm ihn allzu sehr fesselte, aber wenn irgendeiner redete, fühlte man sich wenigstens nicht so allein in diesem finsteren Wohnblock. Seine Nachbarn kannte Kohlhaas nur flüchtig. Viele verließen ihre Wohnungen nur zum Arbeiten und einige waren in den letzten Jahren üble Säufer geworden. Manchmal grölte einer auf seinem Balkon oder pöbelte Leute an, die an „seinem“ Block vorbeigingen — irgendwann schliefen sie aber alle.
    Bürger 1-564398B-278843 schaute bis um 22.37 Uhr Fernsehen: Nachrichten („Krieg der globalen Streitkräfte gegen gefährliche Terroristen im Iran“), Talkshows, leichte Unterhaltung an allen Fronten, Warnungen vor der zweiten Hundegrippe und die Notwendigkeit der baldigen Zwangsimpfung. Dann schlief er ein, obwohl sich der faulige Geruch von draußen mittlerweile in seinem Kissen eingenistet zu haben schien.
     
    Nächster Tag.
    „Guten Morgen, Frank!“ brummelte Dirk Weber, einer der Vorarbeiter hinter ihm. „Guten Morgen, Dirk!“ murmelte Frank zurück. Es war 6.03 Uhr, die Frühschicht konnte beginnen.
    A-341, so war die Bezeichnung des jungen Mannes als Arbeitskraft und Aushilfe hier im Betrieb, lieh seine helfenden Hände bei vielen Arbeitsgängen dem einen oder anderen Kollegen bis die Uhr 10.30 anzeigte. Nun war es Zeit für eine kurze Mittagspause und als Frank sein in Folie eingewickeltes einziges Brötchen, welches mit einer Salamischeibe belegt war, auspackte, ahnte er noch nicht, dass in den folgenden Minuten ein unangenehmer Schicksalsschlag auf ihn wartete.
    Seit etwa einem halben Jahr hatte die Produktionskomplexverwaltung aufgrund einer neuen internationalen Vorschrift das Singen des „One-World-Songs“ vor jeder vorschriftsmäßigen Mittagspause in einem vorschriftsmäßigen Produktionskomplex angeordnet — zur Steigerung der Arbeitsmoral und zur Festigung der internationalen Doktrin für „Frieden, Freiheit, Wohlstand und Einheit“, die seit 2018 von der Weltregierung propagiert wurde.
    Der in diesem Betrieb stationierte Beamte des „Ministeriums für Produktionsüberwachung“, Gert Sasse, der sich meistens in den Büroräumen oberhalb der Fabrikhalle aufhielt, war in dieser Mittagspause erneut pflichtbewusst zu den Arbeitern hinabgestiegen, um mit ihnen den „One- World-Song“ anzustimmen.
    „Arbeiter, jetzt ist gleich Mittagspause! Aber zuerst wird gesungen!“ rief er durch den Raum und alle formierten sich zu einer lustlos wirkenden Reihe, um nach dem Singen des Liedes die kurze Pause genießen zu können:
    „Wir sind die Kinder einer Welt und alle sind wir gleich!
    Wir lieben diese eine Welt, das große Friedensreich!
    Wir kennen keine Rassen, wir kennen keine Klassen ...“
    Frank hörte in den letzten Wochen immer seltener auf den Text, bewegte die Lippen nicht und schaute an die Decke der Produktionshalle.
    „Macht fertig!“ dachte er und schabte gelangweilt mit seinem linken Fuß über den staubigen Boden. Und dann war der Gesang irgendwann verstummt. „Endlich! Diesen Schwachsinn können sie sich langsam mal sparen!“ sagte der Produktionshelfer sehr leise zu sich selbst.
    „Gut! Das ging ja halbwegs! Jetzt ist Pause!“ rief der Beamte des „Ministeriums für Produktionsüberwachung“ und A-341 freute sich auf einen hungrigen Biss in sein aufgeweichtes Brötchen.
    Doch während seine Zähne eifrig das salzige Salamistück und den vorderen Teil des Brötchens zermalmten, flog ihm ein giftiger Blick des Herrn Gert Sasse entgegen. Der Überwacher kniff seine Augen zusammen und wirkte dabei wie eine böse gewordene Bulldogge.
    „A-341! Ja, Sie! Kommen Sie mal zu mir! Beeilung!“ brüllte er aus voller Kehle.
    Frank Kohlhaas schoss das Adrenalin in die Venen. Ärger auf der Arbeit konnte er nicht gebrauchen. „Kommen Sie her, A-341!“ schmetterte Herr Sasse, den Helfer erregt zu sich winkend. Kohlhaas folgte der Aufforderung
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