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Beutewelt 01 - Bürger 1-564398B-278843

Beutewelt 01 - Bürger 1-564398B-278843

Titel: Beutewelt 01 - Bürger 1-564398B-278843
Autoren: Alexander Merow
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Kunstlederpritsche. Er bildete sich ein, bereits wahnsinnig oder auf dem besten Wege dorthin zu sein. Patient 111-F-47 traute seinem eigenen Urteil nicht mehr und von anderen Menschen war er wie durch einen gewaltigen Ozean getrennt.
    Im zweiten Monat seiner Haftzeit machte er den Wahnsinn zu seinem Begleiter. Er stellte ihn sich manchmal als Zellengenossen vor. Groß, hager, mit ganz blasser Haut und tiefen Furchen im Gesicht. Auch in der vorschriftsmäßigen weißen Zellenkleidung von „Big Eye“ gekleidet. Wenn der Wahnsinn neben ihm auf der Pritsche saß, antwortete er jedoch leider nie. Er grinste nur seltsam kühl und entblößte dabei seine gelblich-braunen Zähne. Aber trotzdem erzählte Frank ihm viele Dinge. Manchmal bildete sich der Patient auch ein, dass der „Herr Irrsinn“, wie er ihn nach einiger Zeit nannte, in der kompletten Finsternis der Nacht in der Ecke lag und schnarchte. Dann kroch er über den Boden und versuchte ihn zu finden, um ihm zu sagen, dass er gerne in Ruhe schlafen wollte.
    Frank dachte über viel wirres Zeug nach und es war kaum nachzuvollziehen, ob er sich darüber im Klaren war, dass es wirres Zeug war. Es war ein Trip über die Grenzen des menschlichen Verstandes hinaus und jeden Morgen weckte ihn das quälende Licht.
    „Das ist die Armee der Lichtteilchen, die mit ihren Rammböcken die Augenlider Stück für Stück einreißt und dann laut grölend durch die Augen ins Innere der Schädelfestung vorstürmt — alles abschlachtend und nicht aufzuhalten. Und ja, diese grausame Horde richtet ein Massaker unter meinen grauen Zellen an“, dachte sich der junge Insasse, wenn er es kaum noch ertragen konnte.
    Dann hatte er Phasen, in denen er seinen Körper stundenlang auf Krankheiten hin absuchte. Er fand überall bösartige Knoten und Parasiten. Degenerierte Pickel und seltsame Hubbel unter der Haut, die ihn mit Sorge erfüllten.
    Am Ende des dritten Monats entdeckte er, als er wieder auf dem Boden kauerte, um sich vor dem aggressiven Licht zu schützen, einige rote Punkte neben der Toilette. Frank war sich sicher, dass es Blutspritzer waren, die nur notdürftig mit weißer Farbe vom Gefängnispersonal überstrichen worden waren. Herr Irrsinn hatte dazu keine Meinung, obwohl er die ganze Zeit über in der Ecke saß und Frank traurig ansah.
    Oft dachte der Mann daran, ob es tatsächlich möglich sei, seinen eigenen Kopf an der Wand oder der keramischen Toilettenschüssel so kaputt zu schlagen, dass er diesen Höllentrip hinter sich hatte. Was würde passieren? Würden die Wärter ihn retten und ihn in dieser Kammer weiter verrotten lassen?
    Eine andere Möglichkeit war, da es hier weder Bettwäsche noch andere Gegenstände gab, die einen Selbstmord möglich gemacht hätten, sich die Pulsadern aufzubeißen. Aber jedes Mal, wenn Frank diese Gedanken hatte, verlor er den Mut, es dann wirklich zu tun. Außerdem schaute Herr Irrsinn dann immer sehr besorgt aus seiner Ecke. Das Licht ging wieder aus, es war 22.00 Uhr.
    Ab dem vierten Monat seiner Gefangenschaft in der Holozelle verbrachte Frank Kohlhaas die meisten Tage damit, stundenlang und regungslos auf dem Bauch zu liegen — unter seiner Pritsche.
    „Soll Herr Irrsinn doch auf der Pritsche liegen, ich liege darunter. Soll er sich doch dieses verdammte Licht antun. Mich erreicht es hier nicht mehr“, dachte er und setzte ein irres Grinsen auf.
    An seine Familie dachte er jetzt seltener. Und was sollte es ihm auch nützen? Hier war er von allen getrennt. Vom Rest dieser dahinsiechenden Menschheit, wozu auch Vater, Schwester und sein kleiner Neffe gehörten.
    Und wie hatte ihm die computergesteuerte Frauenstimme in einer Umerziehungsstunde erklärt: „Die Bindungen an Familie und Sippe sind Fehlleistungen der Natur und der Bürger der Neuen Weltordnung kommt ohne sie aus! Sie müssen durch moderne Regeln korrigiert werden. Die Familie schadet der neuen Ordnung und behindert die ökonomische Entwicklung.
    Der Mensch muss lernen, sie zu überwinden. Die Familie ist nicht fortschrittlich, sie hemmt jede Weiterentwicklung. Vergessen Sie Ihre Familie, denn Ihre neue Gemeinschaft ist die Gemeinschaft der Einen-Welt. Sie sind Teil des Ganzen, Patient 111-F-47 und das Ganze ist ein Teil von Ihnen!“
    Seine einzige Unterhaltung war es in dieser verwirrenden Zeit, die Staubkörner auf dem Zellenboden zu begutachten und festzustellen, dass es mehr interessante Formen und Farben bei ihnen gab, als man gemeinhin dachte. So etwas war für
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