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Betrügen lernen

Betrügen lernen

Titel: Betrügen lernen
Autoren: W Bartens
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die Nachttischlampe noch nicht gelöscht, die Zeichen stehen also günstig. Beiläufig lege ich mich ins Bett. Ich will so tun, als ob ich zufällig ebenfalls genau zu dieser Zeit ins Bett gehe, verkneife mir aber zu sagen: »Ach, du auch hier?«
    Sie liegt auf der Seite, hat mir den Rücken zugewandt. Ihr kastanienbraunes Haar lockt sich verlockend in meine Richtung. Ideal zum Löffelchenmachen. Ganz beiläufig lege ich meine Hand auf ihre Hüfte und wünsche ihr eine gute Nacht. Vielleicht kommen wir uns ja gleich näher, sie wird sich im Halbschlaf zu mir drehen und mich in den Arm nehmen. Sie wird mich mit ihren Küssen bedecken, mir den Pyjama vom Leib reißen, und ich werde mich ihrer zärtlichen Attacken kaum erwehren können und schließlich nachgeben. Ihr zuliebe.
    Männerfantasien. Sie rückt von mir ab und vergrößert die freie Bettlakendistanz zwischen uns auf mindestens 60 Zentimeter. Dann fordert sie mich freundlich, aber entschieden auf, die Hand von ihrer Seite zu nehmen, wo ich sie bei dieser Entfernung eh nur noch unter größten Anstrengungen und Verrenkungen halten kann. Clara will unabhängig und selbstbestimmt einschlafen. Sie will frei entscheiden, was sie wann zulässt und was nicht. Sie braucht Zeit für sich, sagt sie, und dazu gehören immer wieder Phasen, in denen sie ungestört über sich und ihren Körper verfügen kann.
    Was sie mir an unveräußerlichen Grundrechten über das nächtliche Einschlafen entgegenbringt, klingt ein bisschen wie die Freiheitserklärung für El Salvador oder irgendeine andere lateinamerikanische Diktatur mit un terdrückten und geschundenen Menschen. Ich fühle mich schlecht und auch politisch ins Abseits gestellt. Sie gibt mir das Gefühl, dem Kampf gegen Jahrhunderte währende Unterdrückung mit meiner miesen Konterrevolution eine empfindliche Niederlage beigebracht zu haben. Ich nehme meine Hand wieder zu mir, drehe ihr ebenfalls den Rücken zu und weine lautlos.
    In solchen Nächten wünsche ich mir manchmal, nicht mehr da zu sein. Ich erniedrige mich fortwährend selbst, um ein bisschen Liebe von ihr zu erhaschen. Ich richte meinen Tagesablauf nach ihr und bin sogar bereit, das Fernsehprogramm früher abzuschalten, um eine kleine Chance zu haben, ihr näher zu kommen. Ich kenne natürlich das alte Spiel aus Nähe und Distanz. Ich weiß, dass sie immer weiter und immer häufiger auf Distanz geht, je stärker ich ihr auf die Pelle rücke. Ich müsste mich unabhängig von ihr machen, sie manchmal sogar ignorieren, dann bin ich wahrscheinlich wieder interessant für sie.
    In der nächsten Woche bin ich konsequent. Ich schaue jeden Tag schlechte Filme bis zu ihrem schlechten Ende an. Egal, wann sie ins Bett geht. Das ist an Selbstfolter kaum zu überbieten. Ich schaue sogar kleine Fernsehspiele. Sie geht jeden Tag mindestens eine Stunde vor mir ins Bett, und ich versuche, sie gar nicht weiter zu beachten.
    Nicht ein einziges Mal wird sie wach, wenn ich mich hinlege. Nicht ein einziges Mal dreht sie sich zu mir um, während ich neben ihr wache. Ich liege sehnend in meinem Bett, zähle die Sekunden und Minuten, die verrinnen, bis ich in schweren und traumlosen Schlaf falle. Ich habe es vorher gewusst. Eine ganze Woche lang belästige ich sie nicht, lasse sie in Ruhe und gehe erst ins Bett, wenn es mir passt. Aber sie nimmt nicht ein einziges Mal Notiz davon.

In der Männergruppe
    Es gibt Sätze, die hört Alex von seiner Liebsten immer wieder. Wie schrecklich sie sind, merkt er erst, wenn er den Raureif der Gewöhnung von ihnen abstreift. Denkt er etwas länger darüber nach, in welchen bescheuerten Abhängigkeiten er und Clara sich mittlerweile verfangen haben oder wie sehr sie sich mit der Zeit gegenseitig abhandengekommen sind, graust es ihn mal voreinander, mal vor sich selbst.
    Die meisten der eingeübten Gesprächsrituale zeigen die Trümmer der Beziehung schonungslos an. Was sie zu ihm sagt, wenn er das heikle Thema Sex in der Ehe anspricht, gehört zu den Klassikern zwischen Alex und Clara: »Frag doch mal deine angeblichen Freunde, wie das bei denen so ist.«
    Das hat gleich mehrere Untertöne. Ein bisschen was von »Frag doch mal nach dem Weg«. Das heißt, trau dich endlich, darüber zu reden, wenn du Vollpfosten schon so vollkommen ahnungslos bist.
    Aber natürlich schwingt auch die Beleidigung mit: Jeder blöde Nachbar weiß es eh besser als du – und echte Freunde hast du sowieso keine.
    Diese Beziehungsbrandsätze werden vor allem am Wo
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