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Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)

Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)

Titel: Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)
Autoren: Christian Bartel
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Sixties-Retro-Outfit gepasst. Rieke sieht aus wie aus einem Blue-Note-Cover gesprungen.
    Hamburg steht ihr gut. Ich schaue in ihr Gesicht, sie ist mir wirklich fremd geworden und das macht mich glücklich.
    Der Abend wogt hin und her, ich werde allenthalben am Ärmel gezupft und schulterbeklopft.
    Matthes betrinkt sich rechtschaffen, dann setzt er sich ans Schlagzeug. Ich schnalle mir die gefürchtete viersaitige elektrische Ölkanistergitarre um, die Bernd mir zur Volljährigkeit gebastelt hat, drehe meinen Verstärker auf, stecke mir ein Stück Kupferrohr über den Finger und lasse abwechselnd Tonika, Dominante und Subdominante aufheulen.
    Mehr braucht es nicht. »retart« sind wieder da. Allerdings haben wir neuerdings einen Sänger, denn Horsti improvisiert gekonnt über einige Motive volkstümlichen Liedguts, lässt hier ein »Hossa«, dort ein »Chiquitita« oder einen Jodler aufblitzen, während »retart« ruppigsten Garagensound herunterschrubbt.
    »Herzilein, du sollst nicht Raubfisch sein«, schmachtet Horsti gerade, mit der rechten Faust innigst seine Brust beklopfend, das Gesicht zu einer Grimasse schmerzhafter Verzückung verzogen.
    Mühelos wandelt er das banale Sauflied zu einer epischen Anglerballade um, die feinsinnig vom ewigen Mit- und Gegeneinander der Raub- und Friedfische erzählt.
    Irgendwann hat Matthes den letzten Roll gespielt, der Ölkanister brüllt seinen letzten Akkord. Horsti reckt die Arme hoch, lässt den Kopf zurücksinken und badet im Applaus.
    Die Künstleragentur »retart« bedankt sich bei der Band »retart«, bei Käpt’n Horsti und der Welt.
    Wohlgefällig lassen wir unsere Blicke über Horstis Bilder schweifen, an deren Mehrzahl ein rotes Bapperl klebt. Sie sind verkauft. Und weil das Bier auch zur Neige geht, werden die hartgesotteneren Gäste woanders weiterfeiern. Der Abend ist zu Ende.
    Sarah muss los, Rashid nach Hause bringen. Sie bietet an, Horsti mitzunehmen, und der fährt mit, ohne sich zu verabschieden.
    Matthes murmelt irgendwas von »morgen aufräumen« und verabschiedet sich ebensowenig wie Horsti.
    Musa wirft mir den Schlüssel zu und verlässt mit einer seiner Klientinnen im Arm das Atelier.
    »Und Pan war wieder allein«, seufze ich, das ist so ein geflügeltes Wort in unserer Familie. Es stammt von Kästner, bezieht sich aber auf eine verwüstete Welt und nicht auf ein Atelier, das den Abend ohne größere Schäden überlebt hat. Dabei hatte ich eigens eine Haftpflicht abgeschlossen.
    Aber ich irre mich ohnehin, denn ich bin nicht allein.
    »Ich glaube, ich habe meinen Schlüssel hier verloren.«
    Rieke.
    »Ich habe keine Taschen an diesem Scheißkleid und da hab ich ihn irgendwo hingelegt.«
    Der Schlüssel ist schnell gefunden, und wenn ich jetzt an diesen Abend zurückdenke, muss ich sagen: erstaunlich schnell. Aber das kann auch Zufall gewesen sein oder Rieke war wieder eingefallen, wo sie ihn hingelegt hatte.
    Sie schlenzt sich auf einen der Biertische, die ich noch nicht abgebaut habe, und schlägt die Beine übereinander. Für einen kurzen Moment sehe ich das Dreieck ihres Slips.
    Noch vor einem Jahr hätte ich alles für einen solchen Moment gegeben. Ich wäre dackeläugig um sie herumscharwenzelt, Rieke hätte belustigt bis mitleidig zugesehen und zu Hause hätte ich mir dann nächtelang Eichel und Selbstbewusstsein wundgerubbelt.
    Wir unterhalten uns über die Ausstellung und was mich dahin gebracht hat.
    »Der Job tut dir gut«, sagt Rieke. »Du wirkst weniger bescheuert als früher.«
    Wir versichern uns gegenseitig, im vergangenen Jahr erwachsen, klug und weise geworden zu sein. Sie schaut mir beim Kehren zu.
    »Vielleicht sollte ich auch was Reelles machen, so wie du.«
    »Straßenfeger?«
    »Nein, Schreiner.«
    »Echt?«
    »Nein. Ich hab zwei linke Hände.«
    »Dabei wolltest du doch groß in der israelischen Landwirtschaft rauskommen.«
    »Oh, Gott. Erinnere mich bloß nicht daran. Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe.«
    Ich weiß noch genau, was ich mir dabei gedacht habe, aber das erwähne ich lieber nicht.
    Aber Rieke tut es.
    Und dann reden wir von diesen Zeiten, von Steffen, der nach Mainz gegangen ist, von der Brücke und von unserem Abi. Die Erinnerung holpert in ihrem alten Projektor, die Tonspur ist verrauscht, die Farben ausgeblichen, und obwohl das Ganze nur ein knappes Jahr her ist, wirkt unsere Geschichte jetzt, da wir sie uns erzählen, unglaublich weit entfernt.
    Aber das stimmt nicht, es war ja nicht banal, es war das
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