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Betörend wie der Duft der Lilien

Betörend wie der Duft der Lilien

Titel: Betörend wie der Duft der Lilien
Autoren: AMANDA MCCABE
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irreale Gefühl, das Calliope den ganzen Abend über begleitet hatte, intensivierte sich. Sie presste sich die Finger an die Schläfen und sah wie durch einen Nebel zu, wie der schlanke Fremde näher an Clio herantrat, um sie zu beschützen.
    Cameron berührte sie sacht am Arm, als fürchtete er, sie könne zerfallen wie der gerahmte Papyrus, der neben ihnen an der Wand hing. Calliope erkannte darauf Thoth, der dem Wiegen der Seelen der Verstorbenen beiwohnte und protokollierte, wer ins Totenreich aufgenommen würde.
    Auch der Duke in der Tür wirkte wie ein Richter über das Schicksal der Versammelten, aber Calliope verschwendete kaum einen Blick an ihn. Sie dachte nur an ihre Schwester. Die Liliendiebin, die der Welt diese Antiquitäten entzogen hatte. Clio, die sich ihre Sorgen und Pläne angehört, ihr diese Liste gezeigt hatte. Die sie geliebt und der sie vertraut hatte, seit sie damals an die Wiege dieses rothaarigen Kobolds mit dem ernsten Gesichtchen geführt worden war.
    „Wie konntest du nur?“, fragte sie und ärgerte sich über ihre bebende Stimme, die ihren ganzen Schmerz, ihre ganze Schwäche preisgab.
    „Callie, bitte!“ Clio trat vor ihren Begleiter und wollte Calliopes Hand ergreifen, aber der entrüstete Blick ihrer Schwester entmutigte sie. „Ich wollte dich doch nicht hintergehen. Irgendwann hätte ich es dir gesagt!“
    „Irgendwann – sobald es in England nichts mehr zu stehlen gegeben hätte?“
    „Aber so ist es nicht!“ Entrüstet schüttelte Clio den Kopf.
    „So ist es nicht, Miss Chase?“, fragte der Duke im Plauderton. „Die Falltür des Geheimgangs steht offen, und wir ertappen Sie mit dem Brecheisen unter dem Fuß meiner Artemis – aber wir täuschen uns? Vielleicht haben Sie die Güte, uns aufzuklären. Lassen Sie sich ruhig Zeit: Ich habe den anderen erzählt, ich würde Ihnen allen einige meiner Schätze zeigen; so schnell wird uns also niemand vermissen.“
    Mit geballten Fäusten wandte Clio sich ihm zu. „Mit Vergnügen, Euer Gnaden. Sie haben all diese Objekte ihrer eigentlichen Heimat entrissen und sie hier aufgetürmt, wo sie ungesehen verrotten. Wo sie zu Staub zerfallen, nur um Ihren Stolz und Ihre Besitzgier zu befriedigen! Ich weiß, wie Sie an diese Kunstwerke gelangt sind, wie Sie sie dem Boden entrissen und von Altären geraubt haben. Oh, nicht, dass Sie sich selbst die Finger schmutzig gemacht hätten: Sie haben Grabräuber bezahlt, arme Männer, die alles tun, um ihre Familien zu ernähren!“
    Plötzlich schnellte der Duke vor und packte Clio an den Handgelenken. Sie funkelte ihn hasserfüllt an. Obwohl sie sich nur an den Händen berührten, vibrierte die Luft vor tödlicher Spannung. Calliope war immer noch wie gelähmt.
    „Du glaubst wohl, alles zu wissen, Clio – Muse der Geschichte“, sagte der Duke leise. „Du hältst dich für die Retterin der antiken Welt, für eine sagenumwobene Heldin, die dem bösen Drachen seinen Hort entreißt.“
    „Ich bin keine Heldin“, erwiderte Clio mit starrem Blick. „Ich bin eine normale Frau, die versucht, das Richtige zu tun. Sie haben die Alabastergöttin nicht verdient. Sie gehört …“
    „Dir?“
    „… nach Griechenland. Niemand kann sie besitzen, schon gar nicht ein raffgieriger Mann wie Sie.“
    „Vorsicht, Clio.“ Er zog sie näher heran. „Du kennst die Hintergründe nicht.“
    „Ich kenne Sie ! Männer wie Sie glauben, sie könnten alles und jeden an sich reißen und einsperren!“
    Er kniff die Augen zusammen. „Nur weil ich dich auf der Galerie geküsst habe? Weil du …“
    „Loslassen!“, schrie Clio und trat nach ihm, aber mit ihren dünnen Seidenschuhen bewirkte sie nichts.
    Cameron ließ Calliope los und warf sich auf den Duke. Averton, der offenbar alle außer Clio vergessen hatte, stürzte zu Boden, und bevor er sich aufrappeln konnte, packte Cameron ihn am Kragen.
    „Ich lasse nicht zu, dass du noch eine Frau misshandelst“, grollte er.
    Averton lachte atemlos auf. „Brichst du mir jetzt wieder die Nase, Westwood?“
    „Geschähe dir recht. Ich habe dir doch gesagt, dass du dich von den Chases fernhalten sollst.“
    „Du hast recht, ich hätte es verdient: Ich habe sie geküsst. Schlechte Angewohnheit. Aber ich bin nicht der Einzige, der den Chase-Musen einfach nicht widerstehen kann. Warum sonst würdest du wie ein Hündchen quer durch England hinter unserer Meisterdetektivin hier herlaufen?“
    Cameron wurde bleich vor Zorn und zerrte Avertons Kopf vom Boden, als wollte
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