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Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Titel: Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)
Autoren: Thomas Müller
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er nun dazu übergehen würde, mir das Kennzeichen von meinem Motorrad abzunehmen.
    Es erschien mir einfach falsch zu fragen, warum er so viele Kugelschreiber besaß. Rein aus dem Gefühl heraus vermeinte ich einen besseren Zugang zu ihm zu finden, indem ich Interesse dafür zeigte, aber gleichzeitig in einer Form, in der ich es nicht bebzw. verurteilte. Anstatt ihn mit einem dummen Witz über die Anzahl seiner Kugelschreiber zu provozieren, mich über die nahezu groteske Ausbeulung seiner linken Brusttasche zu äußern und dadurch vielleicht einen kurzen Sieg durch Erleichterung zu erringen, hielt ich den Umstand lediglich in einem einzigen Satz fest. „Ich sage Ihnen ganz ehrlich, ich finde es faszinierend, dass Sie derart viele unterschiedliche Kugelschreiber gesammelt haben und sie ständig bei sich tragen. Darf ich Sie fragen, ob das Zufall ist?“ Seine Reaktion war erstaunlich. Die Reaktion des zweiten Kollegen noch mehr. Jener Polizist nämlich, der nur einen Kugelschreiber besaß, nützte meine Fragestellung und ergänzte sie von seiner Seite mit den Worten: „Das wollte ich dich auch schon immer fragen.“
    Während der Polizist, der sich gerade vorbereitete, um im Funkgerät nach mechanischer Verstärkung zur Abmontage meines Kennzeichens zu rufen, den Blick über seine Kugelschreiberbatterie gleiten ließ, gab er mir zur Antwort: „Bei meinen Amtshandlungen verwende ich für unterschiedliche Menschen unterschiedliche Schreibgeräte.“ „Aber dann müssten Sie ja Tausende verschiedene Kugelschreiber haben bei all den Amtshandlungen, die Sie führen“, entgegnete ich ihm geradezu bohrend, aber mit ehrlichem Interesse. „Nein“, sagte er selbstsicher. „Es gibt für mich nur 18 verschiedene Kategorien.“ Er ließ durch die Festigkeit seiner Aussage gar keinen Zweifel daran, dass es keine 19. oder 20. Kategorie von Menschen geben würde, und ich brauche nicht hinzuzufügen, dass ich aufgrund der inhaltlichen Gesprächsänderung mein Kennzeichen behielt. Die ergänzende Erläuterung dieses Polizisten, dass er deshalb 18 Kategorien bilden konnte, weil er in seinem Beruf ständig mit Menschen zu tun habe, war für mich so faszinierend, dass ich vier Monate später selbst in die Polizeischule eintrat.

7.

    Beobachten, bemerken und interpretieren. Ich wollte – wie viele andere junge Menschen – viel erleben, mit Menschen zu tun haben, aber darüber hinausgehend für mich immer öfter die Frage nach dem Warum beantworten. Warum reagiert die eine Person in dieser Situation so und eine andere Person in der gleichen Situation anders? Mir war klar, dass diese Fragestellung nur beantwortet werden kann – und dieses Zitat las ich erst Jahre später in einem Stück von Friedrich Schiller –, wenn man „die Gesetze des Lebens nicht nur aus den Büchern, sondern aufgrund der Gesetzmäßigkeiten der Straße kennenlernt“. Entscheidungen anderer Menschen übten für mich eine unglaubliche Faszination aus: ob sie zufällig oder fremdbestimmt waren, ob das Verhalten im Allgemeinen mit körperlichen Merkmalen in Verbindung gebracht werden kann, ob Menschen in tagtäglichen Situationen ausschließlich so reagieren, wie sie es gelernt haben, oder ob bestimmte Handlungsabläufe einfach vorgegeben sind. Ich hatte keine Ahnung von Psychologie, von Statistik. Ich wusste nichts über Verhaltensbeurteilung und schon gar nichts über lerntheoretische Ansätze. Ich wollte nur einen Beruf ausüben, der mir die Möglichkeit gab, fortwährend zu beobachten, in Interaktion und Kommunikation mit anderen Menschen zu treten, um deren Erfahrungswelten besser kennenzulernen. Der Beruf des Polizisten erschien mir als ideale Voraussetzung, um diesem einzig und allein persönlichen Interesse nachzukommen. Schon in der Ausbildungszeit faszinierte mich die Tatsache, dass, auch wenn die Ausbildner und verantwortlichen Offiziere noch so intensiv darauf drängten, dass Hemden, Hosen und Uniformen, Gürtel, Bewaffnung, Rangabzeichen und zusätzliche Gegenstände wie Schreibblöcke und Kugelschreiber in der gleichen Art und Weise getragen, eingesetzt und transportiert werden mussten, wir doch alle unterschiedlich waren. Ich meine nicht die körperlichen Unterschiede. Ich meine die Einzelentscheidungen. Selbst jener Unteroffizier, der für die militärische Grundausbildung zuständig war und uns in Uniform in Reih und Glied aufmarschieren ließ, war nicht in der Lage, eine gänzliche „Einheit“ zu schaffen – wir waren alle
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