Bestiarium der deutschen Literatur (German Edition)
kopfüber in Büschen oder Bäumen hängen und so jegliche verdächtige Bewegung verfolgen. In dieser Position stößt es kaum verständliche Alarmrufe aus, die sich wie Vox Vox anhören. Wissenschaftler haben die sonderbaren Laute auf vielfache Weise mit Hilfe von elektronischen Meßgeräten zu entschlüsseln versucht. Vergeblich. Aus konkurrierenden zoologischen Instituten wurde massiv Kritik an der klonähnlichen Züchtung laut und der Verdacht angemeldet, daß es sich in Wahrheit um eine militärische, drohnenähnliche Konstruktion handelt, deren hochempfindliche sogenannte «fotografische Intelligenz» einem Warmblüter nicht zuzuschreiben ist.
Koeppen, der
Gehört zur Gattung der Nashornvögel. Höhlenbrüter mit ungewöhnlich langer Nist- und Brutzeit – bis zu vier Jahrzehnten. Ohne Raub- und Kampfinstinkte, die auch beim Männchen kaum ausgeprägt sind. Läßt sich ohne Scheu von Familienangehörigen ernähren. In zoologischen Gärten viel bewundert ob seiner in Perlmuttfarben schillernden Fiederung, die streng gegliedert wirkt oder, wie es in diversen laienhaften Untersuchungen heißt, «rhythmisiert». Der Vogel ist scheu, aber zahm – so daß er inzwischen zur Ausstattung großangelegter Villengärten der vornehmen Vororte deutscher Städte gehört, deren Besitzer ihr Exemplar gern und oft Preisrichterkollegien zur Verleihung von allerlei Ehrentiteln und Medaillen vorführen. Die meisten Preise heimste ein Frankfurter Reihenhausbesitzer ein, dessen Exemplar seine einst rosa Fiederung in eine Farbe verändert hat, deren Unbestimmbarkeit die Modebranche dazu brachte, sie «amère» zu nennen. Das Tier ist außer zu Preisverleihungen nicht bereit, seinen Nistplatz zu verlassen; der Besitzer hat in zwölf Jahren nur zwei Küken erlebt, die kurz nach dem Ausschlüpfen und der frohgemuten Anzeige im «Börsenblatt für den deutschen Nashornvögel-Versand» an Blutarmut starben.
Kolbe, der
Der Luchs ist die größte europäische Wildkatze und zugleich ganz unzulänglich erforscht; kaum jemand hat einen Kuder (wie das Männchen heißt) oder den zwei Monate lang von der Katze in Höhlen versteckten Wurf je in freier Natur gesehen. Dabei hat sich das Tier mit den Pinselohren inzwischen in ganz Europa vermehrt. Auf der Iberischen Halbinsel schätzt man den Bestand des Pardelluchses auf über zweihundert, gerissenes Wild zeugt von Streifzügen durch den Harz, von Sachsen bis in die Schweiz. Wurfhöhlen in Italien sind in der Nähe der Villa Massimo und der Adenauer-Stiftung Villa La Collina bei Cadenabbia belegt. In einer Fachzeitschrift «Mikado» wird der Luchs als besonders intelligent, aber scheu und wechselhaft beschrieben. Selbst an amerikanischen Universitäten wurden in Zusammenarbeit mit der Aston University, Birmingham (England), und der Petrarca-Preis-Stiftung von Hubert Burda Symposien über das rätselhafte Waldtier abgehalten, von dem man nur vier Exemplare in einem von einer Großdruckerei finanzierten Schaugehege in Rabenklippe (Harz) besichtigen kann. Da die vorderen Läufe des dunkel gefleckten Pardelluchses kürzer als die hinteren sind, haben auf Spurenlesen spezialisierte koreanische Wissenschaftler mit Hilfe von Infrarot-Videos diese Krallenschrift transkribiert und dem deutschen Schriftsteller Franz Fühmann zur Übersetzung anvertraut. Der veröffentlichte in der DDR-Zeitschrift «Sinn und Form» u. a. diese Zeilen eines «Kuder-Gesangs», wie er es nannte:
Heut bist du ein weißes Blatt,
das ruhig warten kann.
Verwegen ist das.
Kronauer, die
Eingedeutscht Kuhschelle. Bis dato unklar, ob Tier oder Pflanze. In Adalbert von Chamissos «Illustriertem Heil-, Gift- und Nutzpflanzenbuch» eindeutig dem botanischen Bereich zugeordnet als «Pflanze, die ehedem officinall gewesen. Sie besitzt eine ausnehmende Schärfe; wenn man ihren Saft auspreßt, reichen dessen Ausdünstungen hin, die Augen zu entzünden und mit Tränen zu füllen.» Die Glockenform der Blüte führte zu der Bezeichnung Kuhschelle.
Wissenschaftler der Universität von South Florida in Tampa haben aber jüngst in sensationellen Reihenuntersuchungen diese Ausdünstungen in Verbindung gebracht mit den Körpertemperaturen des Chamäleons; das ist nachts, bei kälteren Temperaturen, wie viele Schlangen und Echsen eigentlich lahm, hat eine Aktivitätsminderung um 33 Prozent, die sogenannte «Kältesteife». In Tampa hat man nun herausgefunden, daß die Zunge der Chamäleons sowohl bei 15 als auch bei 35 Grad gleich rasch
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