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Berndorf, Jacques (Hrsg)

Berndorf, Jacques (Hrsg)

Titel: Berndorf, Jacques (Hrsg)
Autoren: Tatort Eifel 2
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drei. Aber erst, wenn Gras über die Sache gewachsen ist, hörst du?«
    Es gingen ein paar Wochen ins Land, in denen das Gras ein wenig wuchs, und die Meldungen in den Zeitungen und im Rundfunk wurden seltener. Manchmal kam es Paul so vor, als sei das alles nur eine völlig verdrehte Phantasie gewesen. In seiner kleinen Wohnung in Olef war er weit genug weg von seinen beiden Tanten, um auf andere Gedanken kommen zu können. Es gelang ihm fast, sich zu entspannen und das Gewesene zu vergessen.
    Die Schatten der Vergangenheit krochen erst allmählich wieder an ihn heran. Und zwar auf gänzlich unerwarteten Wegen.
    Der greise Herr Döhler, der seinen Lebensabend im Seniorenwohnheim verlebte, und der seit vielen Jahren mit seinem ungebrochenen Charme die beiden alten Tanten umwarb, bretterte plötzlich um die Mittagszeit auf einem Quad durch die Innenstadt von Gemünd an ihm vorbei. Wo war sein Rollator geblieben?
    Auch der Hausarzt der Tanten bewegte sich plötzlich schneller fort. Mit seinem BMW Cabriolet hupte er Paul fröhlich zu, der am Zebrastreifen stand.
    Die Parkbank im Kurpark von Gemünd, auf der die Tanten ihre regelmäßigen Spaziergänge stets für eine kleine Verschnaufpause zu unterbrechen pflegten, war gepolstert und mit einem kleinen Baldachin aus verschnörkeltem Gusseisen versehen worden.
    Wann immer Paul seine Tanten in diesen Tagen zu einem Ausflug abholen wollte, wurde ihm gesagt, sie seien bereits anderweitig unterwegs. Hinterher bekam er Fotos von jubelnden Seniorengruppen gezeigt, die die Wildwasserbahn im Vergnügungspark okkupiert hatten oder eine Rundfahrt durch den Hamburger Hafen machten. Er ahnte, wer das Vergnügen finanziert hatte, verkniff sich aber, seine Tanten an die gebotene Vorsicht zu erinnern.
    Er sah auch Fotos vom Altennachmittag im Seniorenheim und erkannte inmitten der ungewohnt entfesselten Greisenschar drei fast nackte dunkelhäutige Stripper. Rasch blätterte er weiter zu den anderen Fotos.
    Als er sich angesichts des Strandpanoramas auf einigen der Fotos bei seinen Tanten erkundigte, wann sie denn zuletzt an der Côte d’Azur gewesen seien, bekam er die lapidare Antwort: »Übers Wochenende.« Tante Franzi bot ihm einen Likör aus den Früchten eines Hartlaubgewächses an, das im Süden prächtig gedieh.
    Das Haus der Tanten wurde bonbonfarben angestrichen, isolierverglaste Fenster wurden eingesetzt, und ein Lift wurde eingebaut.
    Einmal glaubte er die beiden im Fernsehen entdeckt zu haben. Im Publikum einer Zaubershow, die aus Las Vegas übertragen wurde. Das konnte natürlich nicht sein. Oder doch?
    Der kleine Laden in Schleiden, in dem seine Tanten stets den Alkohol für die Likörherstellung kauften, hatte plötzlich eine nagelneue Registrierkasse. Der Opferstock in der katholischen Kirche von Gemünd quoll in letzter Zeit häufig über.
    Die Russenfamilie aus dem Erdgeschoss im Haus der Tanten schickte ihm unerwartet eine Postkarte von den Malediven. Alle sechs Kinder unterschrieben darauf. Sie machten mehrere Kreuzchen an den Balkonen eines unglaublich teuer aussehenden Luxushotels.
Das sind unsere Zimmer
, hatten sie daneben geschrieben.
    Eines Tages klingelte es an Pauls Haustür, und als er den Knopf der Sprechanlage drückte, hörte er am anderen Ende nur ein unterdrücktes Kichern. Als er verunsichert den Türöffner betätigte und die Tür zum Treppenhaus öffnete, um nachzusehen, wer ihn besuchen kam, vernahm er klackernde Absätze auf den Steinstufen. Wenige Augenblicke später sah er sich zwei jungen Damen gegenüber, die für die herbstliche Jahreszeit ungewöhnlich dünn angezogen waren. Ihr Parfüm war mindestens ebenso atemberaubend wie ihre Kurven, und sie wendeten eine Magnumflasche Champagner in ihren Händen. Sie stellten sich als Carmen und Nadja vor und fassten ihn gleich sehr vertraulich an. Woher sie seinen Namen wussten, ahnte er nicht gleich. Da er zur Höflichkeit erzogen worden war, bat er sie in seine Wohnung und registrierte verwundert, dass sie sich gleich wie zu Hause fühlten und noch ein paar Kleidungsstücke mehr ablegten. Irgendwann entschlüpfte es der dunkelhaarigen Nadja mit dem reizenden russischen Akzent, dass sie für die ganze Nacht bezahlt worden waren. Aber da war es Paul dann auch schon egal.
    Er schrieb seinen Tanten einen Brief. So konnte das nicht weitergehen! Sorgsam bemühte sich Paul darum, seine schriftliche Ermahnung eindeutig, aber nicht allzu verräterisch zu formulieren.
    Leider kam sein Tadel zu spät. Noch
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