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Berliner Aufklaerung - Roman

Berliner Aufklaerung - Roman

Titel: Berliner Aufklaerung - Roman
Autoren: Thea Dorn
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Küchentür. In seinem Schmerz hatte Ulf vergessen, das Telefon abzulegen, der Hörer baumelte ihm traurig um den Hals, der linke Arm hielt schwach den Apparat. »Anja, isch bring misch um.«
    »Ich weiß nicht, ob verbrannte Ravioli dafür das geeignete Mittel sind. In jedem Fall gibt es Mitwohnifreundlichere. Außerdem heißt es ›i ch ‹ und ›mi ch ‹. Wir leben hier in einer Stadt, in der Hochdeutsch gesprochen wird, wenn du wieder deinen Urwalddialekt reden willst, dann geh bitte dahin, wo er herkommt.«
    In Phasen psychischer Zerrüttung fiel Ulf in seine Heimatmelodie zurück, deren strikte Abgewöhnung
Anja zu einer Einzugsbedingung gemacht hatte. Ulf schluchzte laut auf. »Ach Anja, du bist herzlos!«
    Wenn es etwas gab, was Anja auf den Tod nicht ausstehen konnte, waren es heulende Homos. »Na komm, Junge, reiß dich zusammen. Ich koch’ dir ’n paar neue Ravioli, und dann sieht die Welt schon nicht mehr so finster aus. Außerdem könntest du das Telefon runterstellen. «
    »Isch will awwer kaane Raviolis.« Ulf schniefte. Anja warf ihm einen strengen Blick zu. »Wie heißt es?«
    »Ich will aber keine Raviolis«, mümmelte er kleinlaut.
    »Na bitte, geht doch.« Anja verschwand unter der Spüle, um eine neue Dose zu holen, während Ulf geräuschvoll das Wasser in der Nase hochzog. »Gregor hat mich verlassen.«
    Anja seufzte. Der distinguierte, graumelierte Gregor war Ulfs erster Kunde gewesen, und mit der ihm eigenen Unprofessionalität hatte sich Ulf natürlich sofort in ihn verliebt. Anja wußte wirklich nicht, wie dieser Knabe jemals allein in seinem Leben klarkommen sollte. Ulfs diverse Berufsversuche waren regelmäßig gescheitert, seine letzte bürgerliche Profession als Klempner endete damit, daß er in einem vornehmen Dahlemer Haushalt ein Abwasserrohr anzuschließen vergaß. Anja hatte ihrem verzweifelten Mitbewohner den im Prinzip guten Rat gegeben, wenn alles andere nicht klappte, dann eben seinen wohlgeratenen Arsch zu versilbern. Sie hatte für ihn das Inserat »Wilder Mann, ich mache dich zum Hengst oder zur Stute!« aufgegeben, das auch sofort regen Zuspruch fand. Gregor hatte Ulf das letzte halbe Jahr über ausgehalten, und mit der richtigen Einstellung Ulfs hätte dieses Arbeitsverhältnis
sicher noch einige Zeit andauern können. Natürlich war es vollkommen schwachsinnig gewesen, von seinem verheirateten Brötchengeber zu verlangen, für ihn die Familie zu verlassen. Ulf war also wieder einmal arbeitslos.
    »Und von was willst du jetzt leben, wenn ich fragen darf?«
    »Anja, ich kann das nicht. Gregor hab’ ich geliebt. Ich kann nicht mit Männern ins Bett gehen, die ich nicht liebe.«
    Die Ravioli begannen zu köcheln. Wenn ihre Praxis endgültig pleite war, würde Anja einen Puff aufmachen. Aber nicht mit Tunten. »Bei deiner Veranlagung sollte es ja nicht allzu schwer sein, wieder jemanden zu finden, in den du dich verliebst. Du gehst morgen abend in ›Andreas’ Kneipe‹, und da suchst du dir einen neuen Finanzier. Und erzähl dem bitte nicht wieder, du wolltest mit ihm auf ewig in eine norwegische Blockhütte ziehen. Essen is’ fertig.«
    Anja verteilte die Ravioli auf zwei einigermaßen saubere Teller, und trotz seines Kummers begann Ulf sofort zu kauen. »Schmeckt echt super.«
    Anja mußte zugeben, daß der Junge bisweilen beinahe rührend sein konnte. »Die Küchenchefin dankt.« Energisch sezierte sie eine Teigtasche. Beim Ravioliessen hatte sie eine Art duales System entwickelt, Nudelteig und -füllung auf einmal zu schlucken war Sakrileg. Die Tafel versank wieder in Schweigen.
    »Und was is’ heute so passiert bei dir?« Ulf gab sich sichtlich Mühe zur Konversation.
    »Morgens ’ne zerstückelte Leiche, mittags Stau auf der Autobahn, nachmittags die Kündigung meiner letzten Kundin.«

    »Anja, mach keine Scherze.«
    »Is’ kein Scherz«, nuschelte Anja zwischen zwei Raviolifüllungen. Ulf erbleichte. »Awwer, des is ja ganz forschbar – äh, furchtbar.«
    »Was? Der Stau?«
    »Das mit der Leiche. Um Gottes willen, Anja – du hast doch niemand überfahren?«
    Anja warf einen vernichtenden Blick über den Tisch. »Wenn Hektor jemanden überfährt, ist der vermutlich platt, aber sicher nicht zerstückelt. Fahr ich ’nen römischen Kampfwagen mit Sichelrädern oder was?«
    »Anja, spann mich nicht so auf die Folter.« Ulf zappelte unruhig auf seinem Stuhl. Wie alle Schwulen packte ihn die Gier nach menschlichen Tragödien. Anja zerlegte die nächste Ravioli.
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