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Berlin blutrot

Berlin blutrot

Titel: Berlin blutrot
Autoren: u.a. Sebastian Fitzek
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Pflanzen.“
    Entrüstet betrachtete er den Inhalt des Schraubglases. Offensichtlich hatte sie in einem unbeobachteten Augenblick eine Handvoll Substrat entwendet. Einen Moment hoffte er, es handele sich um Asche. Aber dafür war die Konsistenz zu grob. Es waren auch keinerlei Knochenreste zu entdecken. Enttäuscht stellte er das Glas auf den Tisch.
    „Hast du dir jemals darüber Gedanken gemacht, wo eigentlich Müllers Frau ist?“
    Verblüfft schaute Claudia ihren Mann an.
    „Natürlich! Sie erholt sich von dem Verlust der Firma. Ist doch ganz normal, dass man in einer derartigen Situation sein Leben hinterfragt.“
    „Tatsächlich? Vielleicht hat dein Arne ja seine Frau schockgefroren, anschließend zerschreddert und füttert nun damit die Blumen.“
    „Erstens ist es nicht mein Arne und zweitens bist du eindeutig reif für den Urlaub“, erwiderte Claudia und war im Begriff, den Raum zu verlassen.
    Theatralisch atmete er tief durch und schüttelte den Kopf.
    „Du hast recht. Ist viel zu kompliziert. Ich schau mal, was sich machen lässt“, verkündete er schließlich gönnerhaft und packte das Glas in die Aktentasche.
    Auf dem üblichen amtlichen Weg kam er nicht weiter. Es gab keinen Anhaltspunkt, der auch nur einen Hauch von Verdacht zuließ. Senfleben musste sich schnell etwas einfallen lassen. Ansonsten würde er in einer Woche im Hotel „Playa De Palma“ Schirmchengetränke zu sich nehmen und sich in die Reihen aufgedunsener Körper, die wie Speckschwarten in der Sonne brutzelten, zwängen müssen.
    Die meisten Mieter des Hauses schliefen schon, als er in Latschen und mit seinem Bademantel bekleidet auf den Hof schlich. Der Müllsack war blickdicht und sorgsam zugebunden. Ein vielversprechendes Indiz dafür, dass der Inhalt unerkannt bleiben sollte. Vorsichtig verteilte er alles auf seiner Werkbank.
    Müller war Vegetarier. Die Sammlung einheimischer und exotischer Frucht- und Gemüseschalen ließ daran keinen Zweifel. Außerdem war er Teetrinker. Offensichtlich bevorzugte er Bio-Kräutertee, Jasmin mit Blüten, ayurvedische Fruchtmischungen sowie eine Kollektion von Wohlfühl-, Gute Laune-, Entspannungs- und Träumschön-Tees. Ein paar unwichtige Quittungen, eine durchgescheuerte Socke sowie diverse vertrocknete Blätter bildeten den kümmerlichen Rest.
    Es gab nichts, was ihm weiterhalf. Unwillkürlich stieg ein Ton bitterster Enttäuschung in Senflebens Brust auf und verlor sich ungehört in den dunklen Gängen des Kellers. Den Rest der Nacht verbrachte er, sich wälzend und stöhnend, mit dem Zählen kleiner, bunter Fische, die über türkisfarbene Wellen sprangen.
    Die nächsten drei Tage heftete er sich an Müllers Fersen, verfolgte ihn von früh bis spät, legte Bewegungsprofile an, listete die Orte auf, an denen er Kaffee trank, Sport trieb oder sich Bilder unbekannter Künstler anschaute. Der Nachbar war einer jener Menschen, die eine Stadt zu Fuß kennenlernen wollten und dabei äußert ausdauernd ein beträchtliches Tempo vorlegten. Senfleben hatte nach drei Tagen außer Muskelkater keine neuen Erkenntnisse. Müller war einfach nicht zu fassen.
    Mit einem Verdächtigen nicht reden zu können und anhand seiner Mimik und Gestik Antworten auf offene Fragen zu erhalten, ließ ihn in der kommenden Nacht nicht schlafen. Es war eine seiner Angewohnheiten, im Dunkeln aus dem Fenster zu starren und sich alles nochmals durch den Kopf gehen zu lassen.
    Genau gesehen hatte er gar nichts herausgefunden. Zwar hatte er in Erfahrung gebracht, dass Sophie Müller nicht zu den Eltern zurückgekehrt war, was ihn aber nicht verwunderte, denn das Vermögen ihrer Familie war mit der Insolvenz verloren gegangen. Freunde konnten auch nicht sagen, wo sie sich befand. Allerdings war sie dafür bekannt, mehrere Monate spurlos vom Erdboden zu verschwinden und dann Postkarten aus Malawi, Indien oder Brunei zu schicken. Alles war denkbar. Vielleicht hatte sie sich eine Auszeit genommen, um sich neu zu justieren. Oder sie hatte einen Mann kennengelernt, Herzchen in den Augen und einfach nur vergessen, sich polizeilich anzumelden. Müllers Frau konnte überall sein. Er wusste, de facto ließ sich nichts vorweisen, schon gar nicht ohne einen Beweis. Sie würden ihn für verrückt erklären. Kriminalhauptkommissar Günther Senfleben kam nicht umhin festzustellen, dass er sich verrannt hatte und kurz davor stand, seine Karriere aufs Spiel zu setzen. Und wofür? Nur um nicht in den Urlaub fahren zu müssen?
    Betrübt schaute
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