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Berlin 1933-1945: Stadt und Gesellschaft im Nationalsozialismus (German Edition)

Berlin 1933-1945: Stadt und Gesellschaft im Nationalsozialismus (German Edition)

Titel: Berlin 1933-1945: Stadt und Gesellschaft im Nationalsozialismus (German Edition)
Autoren: Unbekannt
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»Parteigenossen« integrierte. Beide Prozesse – also Mitgliederanstieg und institutionelle Transformation – waren interdependent und können auf den Begriff »Ausdifferenzierung« gebracht werden. 67 Die NSDAP differenzierte sich nach 1933 in mehrere Großorganisationen aus, die ein in sich abgeschlossenes Funktionärskorps mit jeweils eigenen Besoldungs-und
Versorgungsregelungen, Dienst- und Disziplinarordnungen, hierarchischen Weisungsketten und funktional spezifizierten Tätigkeitsbereichen schufen. In den einzelnen Gauen der NSDAP reproduzierte sich diese Situation, wenngleich in unterschiedlicher Intensität, je nach Sozialstruktur der Zielgruppen und geografischer Lage. 68 Vor 1933 waren die Ergebnisse, die der Gau Berlin bei Reichs- und Landtagswahlen erzielte, im Reichsdurchschnitt der NSDAP mit die schlechtesten. Nach der »Machtergreifung« holte die Berliner NSDAP jedoch bald auf. Sowohl in der Partei als auch in den angeschlossenen Verbänden und im DFW stiegen die Mitgliederzahlen jetzt schneller als in anderen Gauen; nur bei den Gliederungen blieb das Wachstum leicht dahinter zurück. Aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte im Gau Berlin war die Eindringtiefe der Parteiorganisation in der Vorkriegszeit vergleichsweise gering, was sich insbesondere am schlechten Verhältnisquotienten zwischen Einwohnern und Politischen Leitern ablesen lässt. Doch es gelang der Berliner Partei, ihren Funktionärsbestand bis zum Beginn des Krieges zahlenmäßig auszubauen. Seit 1941/42 schützte die Gauleitung ihre Politischen Leiter dann recht erfolgreich vor dem Zugriff der Wehrmacht. So war es ihr möglich, den »Abwehrkampf« buchstäblich bis zur letzten Minute zu führen.
     
    ARMIN NOLZEN
    (geb. 1968), Redakteur der Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus .

WIRTSCHAFT
    Bild 3
    Die Bötzowstraße im Bezirk Prenzlauer Berg wurde zum 54. Geburtstag Adolf Hitlers mit Fahnen geschmückt. Durch sogenannte Rationalisierung, »Auskämmaktionen« und Einziehung der Inhaber zur Wehrmacht waren viele Läden – wie der Fahrradladen von Erich John, der sich seit den 1920er Jahren hier befand, und die Zigarrenhandlung von Elsa Rosenthal – verwaist. Schon zuvor waren die beiden jüdischen Unternehmen E. M. Stern (Luxuspapier und Kurzwaren) und Rudolf Karmeinsky (Rasierwaren en gros), die sich nachweislich bis 1938 in der Bötzowstraße befunden hatten, vernichtet worden. Foto eines unbekannten Fotografen, 20. April 1943.

Resümee
    Die Weltwirtschaftskrise traf die Reichshauptstadt aufgrund struktureller Probleme und ihrer starken Abhängigkeit vom Export außergewöhnlich stark. Das drückte sich besonders deutlich im Anstieg der Arbeitslosigkeit aus. Trotz aller Propagandaversprechen änderte sich hieran 1933/34 wenig. Andererseits hinterließ die Uniformierung der Gesellschaft deutliche Spuren in der Wirtschaft der Stadt, die zum bevorzugten Standort parteieigener oder parteinaher Unternehmungen wurde. Von 1934/35 kam es im Zuge der Aufrüstung zu einer Aufblähung
von Bilanzen und Kapazitäten, die bis 1938 für Vollbeschäftigung sorgte. Die Hochkonjunktur in der Rüstungsindustrie führte jedoch nicht nur zu einer Überhitzung, sondern andererseits auch zu einer Abnahme von Expertise und Qualität. In dieselbe Richtung wies die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit, die in Berlin – infolge effektiver Behauptungsstrategien der jüdischen Unternehmer – später als andernorts im Deutschen Reich, letztlich aber mit umso größerer Brutalität vonstattenging. Die schon vor Beginn des Krieges einsetzende Verlagerung von Industriekapazitäten, die von 1942 an immer größere Umfänge annahm, ging 1944 mit der Verlagerung auch von Firmensitzen aus Berlin einher. Dies bereitete gleichsam vor, was Demontagen, Blockade, Insellage nach dem Krieg und die Treuhandverwaltung nach der Wiedervereinigung vollendeten: eine weitgehende Deindustrialisierung der einstigen Industrie-metropole.
    Die singuläre Bedeutung der Wirtschaft Berlins im Nationalsozialismus tritt im Vergleich mit den anderen Großstädten deutlich hervor. Während auch in München viele NSDAP-nahe Unternehmen ihren Sitz hatten, kam der bayrischen Landeshauptstadt keinesfalls die industrielle Bedeutung zu, die Berlin innehatte, zumal die Siemens AG erst nach dem Krieg ihren Sitz dorthin verlegte. Frankfurt am Main und Köln hingegen hatten bis 1936 kaum an der Aufrüstung Anteil, weil die Städte in der entmilitarisierten Zone lagen.
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