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Berichte aus dem Christstollen

Berichte aus dem Christstollen

Titel: Berichte aus dem Christstollen
Autoren: Jan Weiler
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2000  Grad heißen Punschgetränkes zuständig, welches Dattelmann unter Verwendung von Strohrum, eingeweckten Früchten, Sangria, Rotwein und kiloweise Zucker selbst fabriziert hatte, weil er industriellen Produkten nicht traut. Außerdem ist er der Auffassung, dass jeder Besucher des Weihnachtsfestes davon unbedingt mal gekostet haben muss. Ich wurde abkommandiert, die mitgebrachten Tassen der anderen Eltern mit dem Zeug zu befüllen, und zwar von 15  Uhr bis 17 : 30  Uhr. Er drückte mir eine viel zu große Kelle in die Hand und sagte: «Na dann mal viel Spaß.»

     
    Ich gab mein Bestes, aber die eine Hälfte der kochenden Brühe goss ich mir über die Flossen, weil die Tassen für die Riesenkelle zu klein waren. Und die andere Hälfte trank ich aus, um die Schmerzen zu stillen. Außerdem wollte niemand eine zweite Tasse haben, und ich war sehr darum bemüht, Dattelmann nicht zu verstimmen. Das Wanderklosett bei der Wandertour, Sie wissen schon. Das muss jetzt ein anderer graben.
    Ich ging nach Hause und gönnte mir nach dem süßen Zeug etwas Herzhaftes, einen doppelten Wodka. Dann setzte ich mich vor den Fernseher und sah die Nachrichten. Ungefähr nach der Hälfte fiel mir ein, dass ich noch meine Kolumne schreiben musste. Sie muss jeden Dienstag pünktlich um 18  Uhr fertig sein. Muss. Muss. Muss. Egal, wie viel Dattelpunsch man intus hat. Hier ist das Ergebnis meiner Bemühungen an jenem Tage:
    Der walnussköpfige Bundesinnenminister Friedrich erinnert mich mit seinem Phänotyp daran, dass die Adventszeit in vollem Gange ist. Da sitzt man beisammen, zündet Kerzlein an und labt sich bei parfümiertem Tee mit Honig an eben: Walnüssen. Die Walnuss ist übrigens seit kurzem endlich das, wofür wir sie schon immer hielten, nämlich eine Nuss. Den Fachleuten aus der Nussforschung galt sie bis vor kurzem noch gar nicht als Nuss im botanischen Sinne, sondern als Steinfrucht. Man knackte also jahrzehntelang im festen Glauben an dessen Nussigkeit etwas, von dem die Forscher annahmen, dass es was anderes war, womit sie aber falschlagen: Die Walnuss ist eine solche. Große Erleichterung, die sich auch bei anderen Nahrungsmitteln bitte schön einstellen möge.
    Da wird nämlich nach wie vor ein ziemlich verwirrender Etikettenschwindel betrieben, an dem bienenfleißige Botaniker nicht schuldlos sind, weil sie immer mal wieder die wahre Identität diverser Früchte aufdecken und verkünden. Beispiele: Im Sommer fallen wir Schleckermäulchen auf den Begriff «Beere» herein und verputzen unter dieser Bezeichnung in Wahrheit tonnenweise Nüsse. Erdbeeren zum Beispiel. Das sind botanisch betrachtet Nüsse. Die Erdbeere nun aber in «Erdnuss» umzubenennen, würde möglicherweise zu einer globalen Verwirrung führen, wie man sie aus Ländern mit Linksverkehr kennt.
    Diesen gibt es in ungefähr einem Viertel aller Nationen, und er setzte sich vielerorts durch, wo die Briten irgendwann mal bestimmen durften, sowie in Japan und phasenweise in Österreich und Schweden. In Österreich – einer Art Walnuss der Straßenverkehrsordnung – war lange Zeit nicht klar, ob es nun ein Linksverkehrland mit rechtsgelenkten Fahrzeugen oder ein Linkslenkerland mit Rechtsverkehr werden würde. Das hat auch damit zu tun, dass lange Zeit niemand wusste, was so grundsätzlich aus Österreich werden würde. Österreich-Ungarn zum Beispiel: Linksverkehr mit Ausnahme von Vorarlberg. Dort: Rechtsverkehr. Dann doch Einführung des Rechtsverkehrs, zumindest im Westen des Landes, anschließend Umstellung auch in Kärnten und Osttirol, später überall, außer in Wien, Niederösterreich und Teilen des Burgenlandes und der Steiermark, wo noch ein Weilchen links gefahren wurde. Im Bahnverkehr ist das teilweise in Österreich immer noch so. Und bei den Italienern wird auf der Straße zumindest offiziell rechts gefahren, auf Gleisen aber links.
    Sehr pragmatisch, wenn auch nicht ganz ohne Risiko ging der Wechsel von rechts auf links kürzlich auf Samoa vonstatten. Dort wurde am 7 . September 2009 um sechs Uhr morgens auf Linksverkehr umgesattelt, weil die Regierung der Ansicht war, dass man sich auf diese Weise die Anschaffung von teuren europäischen und amerikanischen Autos mit Linkslenkern sparen könne. Um die Bevölkerung Samoas sanft an die neuen Regeln zu gewöhnen, gab die Regierung allen Untertanen zwei Tage frei und verhängte ein Alkoholverbot.
    Die japanische Automobilindustrie wird sich über die samoische Neuregelung gefreut haben, weil
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