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Benjamin Rootkin - Zeiten voller Zauber, eine Weihnachtsgeschichte

Benjamin Rootkin - Zeiten voller Zauber, eine Weihnachtsgeschichte

Titel: Benjamin Rootkin - Zeiten voller Zauber, eine Weihnachtsgeschichte
Autoren: Rainer Wekwerth
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pünktlich war.
    Kurz darauf bog der Einspänner um die Ecke.
    „Ho, ho, Lotte! Halt, mein Pferd. Ho!“
    Schneematsch spritzte Ben auf die Stiefel, als die Kutsche vor ihm anhielt. Das freundliche Gesicht des Kutschers lächelte ihn an.
    „Guten Morgen wünsch ich.“
    „Guten Morgen, Mr.Stendal.“
    „Hast du die Liste?“
    „Ja, Mr.Stendal.“
    „Okay, dann rauf mit dir.“
    Benjamin jauchzte innerlich auf, als er auf dem Kutschbock Platz nahm.
    „Wie sieht es aus, Junge, hast du Lust, die alte Lotte aus dem Hof zu lenken?“
    Bens Augen strahlten heller als die Morgensonne. Dies würde ein guter Tag werden. Ein sehr guter.
     
    Trotz der frühen Morgenstunde waren schon viele Menschen unterwegs. Dick eingemummt, einen Schal fest um den Hals geschlungen, stapften sie mit von der Kälte geröteten Nasen und Ohren über die rutschigen Bürgersteige.
    Mr.Stendal hielt die Zügel locker, aber aufmerksam in der Hand und lenkte Lotte vorsichtig an den anderen Fuhrwerken vorbei, die ihnen entgegenkamen. Im Gegensatz zu den anderen Kutschern ließ er seine Peitsche nicht knallen, sondern dirigierte sein Pferd, das bei jedem Kommando die Ohren spitzte, durch Zurufe und mit viel Gefühl durch alle Situationen.
    Als Ben das hektische Treiben sah, war ihm klar, dass er heute die Zügel nicht übernehmen durfte, was ihn aber nicht sonderlich enttäuschte, denn der anbrechende Tag war viel zu schön, um ihn sich jetzt schon zu verderben.
    Der Weg führte sie durch die Mallen-Lane über die Towerbridge in Richtung Innenstadt. Hier mussten sie kurz anhalten, um eine von Pferden gezogene Straßenbahn passieren zu lassen. Schließlich ging es über den Picadilly-Circus zur Welsham-Road, wo der Verkehr ein wenig nachließ.
    Ben betrachtete interessiert die alten Häuser, die mit ihren Spitzgiebeln und Stuckverzierungen groß und mächtig an beiden Straßenrändern aufragten. In den meisten Einfahrten lag noch der Schnee der letzten Nacht, und überall waren frierende Butler damit beschäftigt, die Wege frei zu fegen.
    „Schöner Tag wird das heute“, bemerkte Ben freundlich zu Mr.Stendal. „Sieht so aus, als würde es so bald keinen Neuschnee mehr geben.“
    Mr.Stendal hielt prüfend die Nase in den Wind. Sein Gesicht nahm den Ausdruck an, den alte Hunde zeigen, wenn sie nach längst vergessenen Knochen graben.
    „Denke, du hast recht, Junge. Wird wohl keinen Schnee mehr geben.“
    Für eine kurze Weile herrschte Schweigen, dann sprach der Kutscher weiter: „Ben, wie lange ist Mr.Goodman jetzt schon tot?“
    Ben war mehr als überrascht. Mr.Goodman war der Ehemann der Besitzerin des Lebensmittelgeschäftes gewesen, bei dem das Waisenhaus seine Vorräte einkaufte. Dass Mr.Stendal so eine Frage stellte, ließ auf einiges Interesse an Mrs.Goodman schließen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht, da sich der Kutscher und Mr.Goodman nicht hatten ausstehen können. Jetzt fiel dem Jungen auch wieder eine Bemerkung ein, die Mr.Stendal einmal gemacht hatte. Damals, als Mr.Goodman noch unter den Lebenden geweilt hatte, hatte er gesagt, Mrs.Goodman hätte etwas Besseres verdient als den ollen, knauserigen Mr.Goodman.
    Ben betrachtete den Kutscher aus dem Augenwinkel. Wie alt mochte er wohl sein? Sechzig? Fünfundsechzig? Schwer zu sagen, da Mr.Stendals Gesicht durch seinen täglichen Aufenthalt im Freien die Farbe alten Leders angenommen hatte. Seine Hände hielten die Zügel noch kräftig und zeigten wenige Altersflecke. Ben vermutete, dass sechzig wohl eher zutreffen würde. Danach zu fragen, wagte er nicht. Trotzdem, dass er in diesem Alter noch Interesse an einer Frau zeigte, fand Ben erstaunlich. Aber warum auch nicht? Mr.Stendals Frau war lange vor seiner eigenen Geburt an Lungenentzündung gestorben, und warum sollte er für den Rest seines Lebens allein bleiben. Außerdem war Mrs.Goodman eine freundliche, warmherzige Person, die unter ihrem Ehemann sehr gelitten hatte, und die sich als alleinstehende Frau mit der Führung eines Geschäftes schwer tat. Ben kam der Gedanke, dass die beiden eigentlich wie für einander geschaffen waren. Er nahm sich vor, die Sache im Auge zu behalten.
    „Mr.Goodman?“ antwortete er. „Das müssten schon gut zwei Jahre sein, seit sie ihn in Churchwood zu Grabe getragen haben.“
    „Mhm.“
    Beide schwiegen erneut. Mr.Stendal winkte großzügig eine elegante Kutsche vorbei. Zwei wunderschöne Rappen mit Scheuklappen vor den Augen zogen die mit Gold verzierte, dunkelgraue Kutsche. Die
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