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Belles Lettres

Belles Lettres

Titel: Belles Lettres
Autoren: Charles Simmons
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Erstsemesters der technischen Hochschule von Massachusetts, wie man sich eine Atombombe bastelt. Für den Druck opferte Overleaf eine komplette Ausgabe, Diagramme inklusive. Er veröffentlichte das starke Stück unter der Überschrift: «Wenn Eure Kongreßabgeordneten nicht hören wollen, dann...» und bezeichnete die betreffende Ausgabe von Belles Lettres in seinem Leitartikel als «die Hiroshima-Nummer». Nach der Vietnam-Affäre hatte Tooling nicht nur Overleaf, sondern auch den für Protean arbeitenden Druckereien Anweisungen gegeben, daß er alles, was in die Zeitschrift kam, vorher zu Gesicht bekommen wollte. Doch Overleaf wartete eine Woche ab, in der Tooling abwesend war, und lieferte das Material erst in letzter Sekunde ein. Die Ausgabe war innerhalb eines halben Tages ausverkauft und wurde in sämtlichen Druck- und elektronischen    Medien    detailliert    abgehandelt.    Im Kongreß wurde formeller Protest eingelegt. Ein Kommentar in der New York Times bezeichnete den Artikel als «einen Akt bar jeder Vernunft und Zurechnungsfähigkeit.» Tooling verbreitete eine Presseerklärung, wonach «dieser brillante junge Mann offenbar überarbeitet ist, wofür ich persönlich verantwortlich bin. Er hat mir versprochen, psychiatrische Hilfe in Anspruch zu nehmen.» Und in der Tat soll Overleaf schwierige Zeiten durchgemacht haben, nachdem er von der Chefredaktion entbunden worden war.
    Der fünfte Chefredakteur von Belles Lettres war Jonathan Margin, der den Posten 1973 als Neununddreißigjähriger übernahm. Wie seine beiden unmittelbaren Vorgänger, war auch er bereits Angestellter von Protean gewesen, bevor ihm die Chefredaktion angetragen wurde. Im Gegensatz zu Backstrip war er ein literarisches Trüffelschwein, und im Gegensatz zu Overleaf war er kein Wunderkind. Das Pendel war in die Ruheposition zurückgeschwungen. Mein Job bei Belles Lettres verdankte sich dem glücklichen Zufall, daß mein College-Professor ein Exemplar meines Referats an Margin schickte, der mir eine sehr genaue Analyse zukommen ließ, in der er zeigte, wo ich den Nagel auf den Kopf getroffen und wo ich daneben gehauen hatte, mit dem abschließenden Urteil: «Aber irgendwie scheinen Sie uns verstanden zu haben. Besuchen Sie mich doch einmal, wenn Sie wieder in New York sind.» Das geschah im Herbst 1983, und Mr. Margin war so liebenswürdig, mir eine Stelle anzubieten.

II H inter den Kulissen von Belles Lettres
    Sobald ich der Redaktion beigetreten war, wollte jeder von mir wissen, wie es bei Belles Lettres zuging. Lasen wir wirklich alle Bücher selbst? Wie entschieden wir, welche rezensiert werden sollten? Wie suchten wir die Rezensenten aus? So lauteten die unschuldigen Fragen. Leute, die mehr vom Literaturbetrieb verstanden, wollten wissen, ob wir die Rezensenten beeinflußten und die Rezensionen redigierten. Die Leute aus dem Literaturbetrieb fragten erst gar nicht; sie gingen sowieso von der Existenz einer meinungsmonopolistischen Verschwörung aus, obwohl niemand genau wußte, wozu die gut sein sollte. Wenn ich mich an diese Fragen erinnere, denke ich an ein Gespräch, das ich während unseres ersten gemeinsamen Mittagessens mit Jonathan Margin führte.
    «...so hat also jeder seinen persönlichen Geschmack», sagte er. «Und Gott sei Dank! Womit sonst ließe sich rechtfertigen, daß wir unsere Urteile einem wehrlosen Publikum aufschwatzen? Wir von Belles Lettres bilden schon eine merkwürdige und, das darf ich gleich hinzufügen, faszinierende Mischung aus Typen und Temperamenten. Unsere Empfindungsfähigkeit reicht von wüster Vulgarität bis ins Delikateste, wenn nicht gar Dekadente. Mir will es so vorkommen, als repräsentierten wir ein kritisches Modell des amerikanischen Lesepublikums. So befürworten wir etwa ein Buch, indem wir es im Rahmen der Intentionen des Buchs befürworten. Wir lehnen Krimis nicht grundsätzlich ab, wir lehnen nur schlechte Krimis ab. Wir befürworten Lyrik nicht grundsätzlich, wir befürworten nur gute Lyrik. Und wenn ein Buch eine Meinung vertritt, sei sie noch so befangen oder voller Vorurteile, versuchen wir, klar zu machen, wer wir sind und wo wir stehen, und beurteilen dann das Buch nach der Stichhaltigkeit seiner Argumentation. Ich will damit sagen, daß wir bei Belles Lettres an der Machart interessiert sind, an den Mitteln, am Prozeß...»
    Mr. Margin war ein langer, dünner Mann aus einer alten, aber armen Familie aus New England. Er hatte ein knochiges New-England-Gesicht und eine
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