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Belladonna

Belladonna

Titel: Belladonna
Autoren: Karin Slaughter
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gewesen. Eine große Quetschung bedeckte die rechte Seite ihres Gesichts. Sara erkannte den Abdruck einer Faust unter dem Auge. Als sie den blauen Fleck berührte, bewegten sich Knochen unter Saras Fingern und klickten wie zwei Murmeln, die aneinander stoßen.
    Saras Hand zitterte, als sie die Finger an Sibyls Halsschlagader presste. Sie spürte ein leichtes Flattern an ihren Fingerspitzen, aber Sara war sich nicht sicher, ob es sich um das Beben ihrer eigenen Hände handelte oder ob sich noch Leben regte. Sara schloss die Augen und konzentrierte sich darauf, die beiden Empfindungen auseinander zu halten.
    Ohne Vorwarnung verkrampfte sich der Körper, zuckte heftig, stürzte nach vorn und riss Sara zu Boden. Eine Blutlache breitete sich um sie beide aus, und instinktiv versuchte sie sich in den Boden zu krallen, um unter der krampfhaft zuckenden Frau hervorzukommen. Mit Füßen und Händen tastete sie nach einem Halt auf dem glatten Toilettenboden. Schließlich schaffte Sara es, unter der Frau hervorzurutschen. Sie drehte Sibyl auf den Rücken, barg ihren Kopf in den Armen und gab sich alle Mühe, ihr über die Zuckungen hinwegzuhelfen. Plötzlich endeten die Krämpfe. Sara legte das Ohr an Sibyls Mund, horchte auf Atemgeräusche. Es gab keine.
    Sara ließ sich auf die Knie nieder und drückte auf Sibyls Brustkorb, versucht, wieder Leben in ihr Herz zu pressen. Sara hielt der jüngeren Frau die Nase zu und atmete ihr Luft in den Mund. Sibyls Brustkorb hob sich ganz kurz, aber mehr geschah nicht. Sara versuchte es noch einmal und musste würgen, weil die Sterbende ihr Blut in den Mund hustete. Sie spuckte mehrmals aus und wollte schon weitermachen, aber dann erkannte sie, dass es zu spät war. Sibyls Augen verdrehten sich nach hinten, und als sie ein letztes Mal zischend ausatmete, lief noch ein leichter Schauder durch ihren Körper. Urin rann zwischen ihren Beinen hervor.
    Sie war tot.

ZWEI
    Grant County war nach dem guten Grant benannt, nicht Ulysses, sondern Lemuel Pratt Grant, einem Eisenbahnunternehmer, der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts die Atlanta-Strecke weit hinein nach South Georgia und zum Meer ausbaute. Auf Grants Schienen transportierten die Züge Baumwolle und andere Waren durch ganz Georgia. Diese Eisenbahnlinie hatte dazu geführt, dass man von Orten wie Heartsdale, Madison und Avondale als Städten Notiz nahm. So manche Stadt in Georgia war nach dem Mann benannt. Zu Beginn des Bürgerkriegs entwickelte Colonel Grant zudem einen Verteidigungsplan für den Fall, dass Atlanta je belagert werden sollte; unglücklicherweise verstand er sich jedoch besser auf Güterzüge als auf Feldzüge.
    Während der Depression beschlossen die Bürger von Avondale, Heartsdale und Madison, ihre Polizei, ihre Feuerwehren und auch ihre Schulen unter eine gemeinsame Verwaltung zu stellen. Das half, bei unentbehrlichen öffentlichen Dienstleistungen Geld zu sparen, und bewog außerdem die Bahn, die Grant-Strecke nicht stillzulegen. Als Ganzes war das County nämlich viel größer als die Einzelstädte. 1928 wurde in Madison ein Armeestützpunkt gebaut, und das brachte Familien aus allen Teilen der Nation in das winzige Grant County. Ein paar Jahre später wurde Avondale zum Standort eines Bahnbetriebswerks auf der Strecke Atlanta-Savannah. Es vergingen noch ein paar Jahre, und in Heartsdale wurde das Grant College gegründet. Fast sechzig Jahre lang blühte und gedieh das County, bis die Schließung von Garnisonen, Rationalisierungen und die Finanzpolitik der Reagan-Ära die Wirtschaft von Madison und drei Jahre später die von Avondale Schritt für Schritt ruinierte. Wäre das College nicht gewesen, das 1946 zu einer technischen Universität wurde, die sich auf Agrarwesen spezialisierte, hätte Heartsdale denselben Niedergang erlebt wie seine Schwesterstädte.
    So war also das College das Herzblut der Stadt, und die oberste Direktive des Bürgermeisters von Heartsdale an den Polizeichef Jeffrey Tolliver lautete, das College bei Laune zu halten, wenn ihm sein Job lieb war. Und genau das tat Jeffrey gerade, als er bei einer Sitzung mit der Campus-Polizei Maßnahmen gegen die seit kurzer Zeit erhebliche Zunahme von Fahrraddiebstählen erörterte und plötzlich sein Handy läutete. Anfangs erkannte er Saras Stimme nicht und dachte, jemand erlaube sich mit diesem Anruf einen Scherz. In den acht Jahren, die er sie jetzt kannte, hatte Sara nicht einmal so verzweifelt geklungen. Ihre Stimme bebte, als sie drei Wörter
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