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Belladonna

Belladonna

Titel: Belladonna
Autoren: Karin Slaughter
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seitlich von sich gestreckt. Die Kleine lächelte. Dieser Gesichtsausdruck stand in großem Kontrast zu dem des leblosen Mädchens, das auf der Bahre lag und darauf wartete, ins Leichenschauhaus gebracht zu werden.
    Der Vater griff nach Saras Händen. Er beugte den Kopf und flüsterte ein Gebet, das sehr lange anzudauern schien und in dem er um Vergebung bat. Außerdem beteuerte er seinen immer währenden Glauben an Gott. Sara war absolut kein religiöser Mensch, aber etwas an diesem Gebet rührte sie. In der Lage zu sein, angesichts eines so furchtbaren Verlusts derart Trost zu finden, erstaunte sie.
    Nach dem Gebet war Sara zu ihrem Wagen gegangen, um sich zu sammeln, vielleicht sogar eine Fahrt um den Block zu
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    machen, damit sich ihr Verstand mit diesem tragischen und unnötigen Tod beschäftigen konnte. Und da hatte sie den Schaden an ihrem Auto vorgefunden. Und da war sie zurück ins Haus und auf die Toilette gegangen. Und da hatte Jack Allen Wright sie vergewaltigt.
    Das Bild, das Jeb ihr gezeigt hatte, war dasselbe gewesen, das sie vor zwölf Jahren in dem Warteraum gesehen hatte.
    «Sara?»
    Ein neuer Song begann. Sara wurde beinahe übel, als sie die Worte «He, he, Julia» aus den Lautsprechern hörte.
    «Stimmt was nicht?», fragte Jeb und zitierte darauf den Song:
    «‹You're acting so peculiar.›»
    Sara hielt eine Dose hoch und schloss den Kühlschrank. «Das hier ist die letzte Coke», sagte sie und machte einen ersten kleinen Schritt Richtung Garagentür. «Draußen hab ich aber noch mehr.»
    «Lass nur.» Er zuckte die Achseln. «Mir reicht Wasser.» Er hatte sein Sandwich beiseite gelegt und starrte sie an.
    Sara riss die Coke-Dose auf. Ihre Hände zitterten ein wenig, aber sie glaubte nicht, dass Jeb es bemerkte. Sie hob die Dose an den Mund und ließ beim Trinken etwas Coke auf ihren Pullover tropfen.
    «Oh», sagte sie und tat, als sei sie überrascht. «Ich geh mich mal eben umziehen. Bin gleich wieder da.»
    Sara erwiderte sein Lächeln, auch wenn ihre Lippen dabei bebten. Sie zwang sich dazu, sich in Bewegung zu setzen und langsam die Diele hinunterzugehen. In ihrem Zimmer griff sie nach dem Telefon, sah zum Fenster hinaus und war überrascht, dass strahlender Sonnenschein hereinfiel. Das wollte so gar nicht zu dem Entsetzen passen, das sie ergriffen hatte. Sara wählte Jeffreys Nummer, aber es waren keine Töne zu hören, als sie die einzelnen Tasten drückte. Sie starrte auf das Telefon,
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    wollte mit reiner Willenskraft bewirken, dass es funktionierte.
    «Du hast doch den Hörer daneben gelegt», sagte Jeb.
    Sara sprang vom Bett auf. «Hab nur eben meinen Dad
    angerufen. Er kommt in ein paar Minuten vorbei.»
    Gegen den Rahmen gelehnt, stand Jeb in der Tür. «Ich dachte, du hättest gesagt, dass du später bei deinen Eltern vorbeischaust?»
    «Stimmt», antwortete Sara. Langsam bewegte sie sich rückwärts auf die andere Seite des Zimmers. Dadurch war das Bett zwischen ihnen, aber Sara, die mit dem Rücken zum Fenster stand, steckte auch in der Falle. «Er kommt mich abholen.»
    «Bist du da so sicher?», fragte Jeb. Er hatte sein typisches Lächeln aufgesetzt, eher ein schräges Grinsen wie bei einem Kind. Irgendwie wirkte er so ungezwungen und so wenig bedrohlich, dass sich Sara eine halbe Sekunde lang fragte, ob sie vielleicht falsche Schlüsse gezogen hatte. Ein Blick hinunter auf seine Hand belehrte sie aber sofort eines Besseren. In ihr hielt er ein langes Ausbeinmesser.
    «Wie bist du darauf gekommen?», fragte er. «Durch den Essig? Es war höllisch schwer, ihn durch den Korken zu kriegen. Dem Himmel sei Dank für Herzkanülen.»
    Sara tastete hinter sich und spürte die kalte Fensterscheibe unter ihrer Handfläche. «Du hast sie mir alle präsentiert», sagte sie und ging in Gedanken die letzten Tage durch. Jeb hatte von ihrem Mittagessen mit Tessa gewusst. Jeb hatte gewusst, dass sie in der Nacht, als Jeffrey angeschossen wurde, im Krankenhaus war. «Darum war Sibyl also auf der Toilette. Und darum lag Julia auf meinem Wagen. Du wolltest, dass ich sie rette.»
    Er lächelte und nickte bedächtig. In seinen Augen war eine gewisse Traurigkeit, als bedauerte er, dass das Spiel vorüber war. «Ich wollte dir die Gelegenheit dazu geben.»
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    «Hast du mir deswegen ihr Bild gezeigt?», fragte sie. «Weil du wissen wolltest, ob ich mich an sie erinnere?»
    «Ich bin überrascht, dass du es tust.»
    «Wieso?», fragte Sara. «Glaubst du, ich könnte so etwas vergessen?
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