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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition)
Autoren: Milada Součková
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Ordnung. Wie soll ich so heute singen. Meine Stimme muss sich ausruhen. Du brauchst natürlich nicht zu schlafen zum Abklimpern deiner Schmachtfetzen!«
    »Mach dir nur keine Sorgen, niemand wird merken, ob du singst oder nicht!«
    Die achtzehnjährige Julinka hat allerdings keine Ahnung, wie qualvoll Konzerttourneen sind, ahnt nichts von den Eigenarten des Komponisten von » Deine Augen « , der nachts reisen wollte, um Hotelkosten und Zeit zu sparen. Sie ahnt nicht, dass sie nah am Weinen ist, müde und unausgeschlafen. Ahnt nicht, wie sie nach achtzehn Jahre aussehen wird –
    »Die Unverschämte«, sagte Frau Gutwirt, »die Schamlose. Die soll achtzehn sein! Schauen Sie, wie entwickelt sie ist! Und welche Blicke sie Doktor Arnošt zuwirft!«
    Als Julinka beim Schnitzel saß (wir fügen hinzu, dass sie mit einer vortrefflichen Gesundheit ausgestattet ist) und dabei den Blick zu Doktor Arnošt hob, zeigte sie das herrliche Blau ihrer von schwarzen Wimpern beschatteten Augen, die sie jedem männlichen Wesen zeigen würde, das an Arnošts Stelle säße. Mit einem Flügelzittern entlockte sie die zarte Melodie – unsere Blicke trafen sich – und sie aß weiter.
    In der Ecke des Speiseraums steht ein Pianino, auf seinem Deckel in einer Vase ein Makartstrauß; zu beiden Seiten der mit Porzellanblumen verzierten Vase liegen Noten aufgeschichtet: Lieder, Walzer. DasElfenbeinplättchen der Taste des eingestrichenen »h« ist an einer Ecke abgesplittert. An Regentagen setzt sich gelegentlich jemand aus langer Weile ans Klavier und spielt etwas, was er auswendig kann; dabei bebt der Strauß aus Gräsern und Schmiele. Frau Tesař, die am Konservatorium studiert hat, kann nicht hören, wenn man mit einem Musikinstrument so umgeht, auch nicht mit einem Veteran, wie diesem Bäderklavier. Zu besonderen Anlässen singt Frau Wohlrab manchmal Lieder, die sie mit großem Erfolg häufig im Offizierskasino gesungen hatte.
    Doktor Arnošt hat zum Abendessen einen halben Liter Bier getrunken und sich ein Viertel Wein bestellt. Er hat sich eine Zigarre angezündet. Julinkas Anblick hat in ihm eine sanfte Erregung wachgerufen und den Blick unter seinen stets schweren Augenlidern aufblitzen lassen.
    Frau Gutwirt verlässt den Speiseraum, geht am Tisch Doktor Arnošts vorbei, der sie höflich grüßt und ihr einen seiner Blicke widmet, den er jeder Frau in seiner Nähe meint widmen zu müssen. Frau Gutwirt wird einen Augenblick stehenbleiben und entschuldigt ihren frühen Aufbruch. Baden und spazieren hätten sie ermüdet. Doktor Arnošt erhebt sich höflich und sagt loslachend: »Schöne Ausreden!«, was heißt, auch in Frau Gutwirt sieht er eine Frau mit weiblichen Eigenheiten, die er gut kennt. Frau Gutwirt mag ihn nicht, auch ihm ist sie völlig gleichgültig. Zu seinen Grundsätzen gehört jedoch, dass jede Frau, alt oder jung, verführt zu werden wünscht. Er ist Held unseres Romans, weil er nach seinen Grundsätzen auch einer ist. Er hat sich erhoben und sich mit seinem Viertel Wein an den Tisch von Professor Tesař gesetzt. Er hat sich vorher freilich verbeugt und um Erlaubnis gebeten, Platz nehmen zu dürfen.
    Frau Tesař beschäftigt sich mit einer Handarbeit und für eine Weile setzt sie sich gewöhnlich zu Frau Wohlrab, um zum Beispiel nach dem Rezept für die Süßspeise zu fragen, die es heute Mittag gab. Sie überlässt »die zwei ihrer Gelehrsamkeit«. Doktor Arnošt ist nämlich ein Schüler von Professor Tesař, hörte an der Universität dessen Vorlesungen, ging in die Seminare; war, obwohl durch seinen prinzipiell antihistorischen Standpunkt bekannt, einer seiner eifrigsten Schüler. War es möglich, mit solchen Ansichten Schüler von Professor Tesař zu sein? Und am Ende sogar einer der beliebtesten? Erstaunlich, ihre gegensätzlichen Standpunkte glich etwas Stärkeres aus als ihre Ansichten es waren: die Mitgliedschaft im Herrenklub.
    Jedes Mitglied des Herrenklubs sagt über Professor Tesař: »Ein ungewöhnlich geistvoller Mensch!« Ausnahmslos, sogar Advokat Korec, der im Klub berühmt ist, weil er beim Tod Březinas * sagte: »Was war das gleich für ein Journalist?«
    Doktor Arnošt hat seinen Blick erneut unter den schweren Augenlidern auf Julinka gerichtet. Er hat die Asche der Zigarre abgestreift und sich Professor Tesař zugewandt: »In der Zeit der Bosnienkrise –«
    Dort hatte Frau Wohlrab ja nicht bleiben wollen, ein Land, wo es schon im Frieden gefährlich ist, vom Krieg gar nicht zu reden.
    Nach den
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