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Bekentnisse eines möblierten Herren

Bekentnisse eines möblierten Herren

Titel: Bekentnisse eines möblierten Herren
Autoren: Oliver Hassencamp
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gerade.«
    Lukas hob die Arme zu einer unschlüssigen Geste.
    »Wir sind ja immerhin seit einem Jahr verlobt. Das kann man doch nicht einfach mir nichts, dir nichts aus der Welt schaffen.«
    »Mhm. — Und woran glaubst du, liegt es?«
    »Ich weiß auch nicht. Sie ist gut, herzensgut, aber gerade das geht mir so auf die Nerven. Sie... sie lacht über Dinge, die ich mit dem besten Willen nicht komisch finden kann. Schon bei der geringsten Kleinigkeit explodiere ich! Ich weiß, es klingt albern, aber morgens zum Beispiel... wenn sie mir Kaffee einschenkt... da hat sie eine Art, mit dem Zeigefinger den Kannendeckel festzuhalten, daß... daß ich am liebsten laut aufschreien möchte.«
    Hubert genoß seine Beschreibung.
    »Sehr schön, weiter. Das ist alles Stuhlgang, mein Junge, herrlicher Stuhlgang!«
    Lukas hielt der vorbeilaufenden Kathi sein leeres Bierglas in den Weg und fuhr mit unverminderter Intensität fort: »...und dann malt sie doch. Und genauso, wie sie Kaffee einschenkt, so sind auch ihre Bilder. Nichts fehlt, nichts! An alles ist gedacht, nur... ich ersticke dabei!«
    »Solche Gefühle sind für ein Verlöbnis natürlich etwas antizipiert.« Hubert drückte seine Zigarre aus.
    »Wenn wenigstens eine Verfehlung vorläge. Etwas Handfestes. Nicht Untreue, eher Unterschlagung. Vergehen haben so etwas Gemeinschaftsförderndes, sie regen zu Großmut an. Endlich ist ein Schwein da, zu dem man sich bekennen kann! Das hebt! Aber der Kleinkram, der entzweit.«
    »Ich weiß nicht, was du dir von mir erwartest. Ich könnte dein Vater sein. Da ich es jedoch nicht bin, kann ich dir vielleicht sogar einen Rat geben, ohne daß die Erbmasse gleich opponiert. Das ist das ganze Problem elterlicher Erziehung. Redet einem so ein Vater ein, dies zu tun oder das zu unterlassen, hat man immer das Gefühl, er will einen um einen wesentlichen Fehler, um eine lebenswichtige Dummheit prellen. Mütter sind noch schlimmer, die wollen behüten. Dabei fühlt man doch ganz deutlich, daß der Weg nur durch die eigenen Dummheiten hindurch zu selbständigem Unsinn führen kann. Gemachter Unfug ist die einzig verläßliche Grundlage für spätere Reife. Das ist Entwicklung! Das Ziel ist bereits Tod, Absturz vom Baume der Erkenntnis, damit die Würmer was zu knabbern haben.«
    Lukas sah ihn an: »Du holst verschwenderisch weit aus!« Bedächtig wickelte Hubert eine grünliche Importe aus der Cellophanhülle, riß die Bauchbinde ab, schnitt mit einem kleinen Messer sein Zeichen in das Mundende und erhitzte, ohne zu ziehen, die Spitze mit einem Streichholz.
    »Die menschliche Psyche ist kein Platz für Nichtraucher«, sagte er und lehnte sich zurück. »Das, was wir Leben nennen, beschränkt sich nach Passieren der elterlichen Schranke auf den Vorortverkehr. Wir müssen viel hin und her fahren, das heißt, wir brauchen, um die Anschlüsse nicht zu verpassen, einen Fahrplan. Mach dir einen Fahrplan, Lukas. Beobachte den Bahnhofsbetrieb des Alltags und dich in ihm. Zeichne deine Beobachtungen auf und frage nicht den Kontrolleur — am allerwenigsten den, der einen Rock als Uniform trägt. Er ist Angestellter und steht nicht selbst im Leben. Meditiere über alles, was dich beschäftigt, und halte es fest! Das geschriebene Wort ist gebannt. Aber keine nihilistische Backfischromantik im Tagebuchstil, nur Erkenntnisse, neue Sicht. Sammle in die Schublade und lies die Halbheiten von Zeit zu Zeit durch mit dem Auge des Navigators. Die Übersicht über Gedachtes ist die halbe Erkenntnis. »Nur wer seinen Fahrtwind kennt, weiß, wohin er fährt.« Den Satz hat Nietzsche mir leider voraus und noch einige hundert dazu.« Er beugte sich vor. »So, und jetzt laß mich in Ruhe mit deiner Ingrid; dafür ist die Havanna zu teuer. Und merk dir: Wer nicht verheiratet ist, hat noch keinen wesentlichen Fehler gemacht.«

    Lukas schaukelte sich in den neuen Rhythmus ein. Der Zierholtsche Haushalt wurde ihm zum Burgfried komfortloser Geborgenheit. Er erkannte die Wichtigkeit unsinniger Verrichtungen als Grundlage des Nestgefühls und begann den täglichen Kleinkram sogar zu genießen. Allein der Kampf auf der Glasplatte des Badezimmers! Zierholts besaßen ein großes Doppelwaschbecken. Die linke Seite, wie den aufgebauten Utensilien zu entnehmen war, gehörte Mutter und Tochter. Die rechte dem Patriarchen. Rücksichtsvoll hatte Lukas seine Reinlichkeitsgerätschaft schmal in der Mitte aufgebaut. Jeden Morgen, wenn er das Badezimmer betrat, fand er die Lage
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