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Beim ersten Om wird alles anders

Titel: Beim ersten Om wird alles anders
Autoren: Rainer Dresen
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Knöchel und den Kopf dazwischen legen.“Ich blicke mich um. Was meint er jetzt? Wie soll denn das gehen? Ich schaue nach vorne. Nadine taucht problemlos ab, ihr Kopf ist irgendwo abgelegt ganz rechts außen zwischen Knöchel und Handfläche, es sieht aus, als wäre sie aus Gummi. Ein Blick auf die andere Seite meiner Matte, auch da wurde die Übungsanweisung ganz offensichtlich auf Anhieb verstanden und korrekt ausgeführt. Wie es den anderen Männern ergeht, kann ich nicht erkennen, da ich meine Brille vor lauter Anstrengung abgelegt habe. Ich hoffe, sie stellen sich ähnlich ungeschickt an wie ich, und lege meinen Kopf vermeintlich unauffällig schräg nach unten. Beim Versuch, die linke Hand doch noch an den rechten Knöchel zu führen, bleibt der Arm nutzlos in der Luft stehen.
    Meine Hoffnung, dass dies bis zur nächsten Übungsansage unbemerkt bleibt, erfüllt sich nicht. Sofort höre ich den Lehrer ausrufen: „Bis auf einen haben es alle verstanden, aber ich sehe noch eine Hand in die Luft gestreckt. Einen Moment.“Er eilt zu mir. Wenn es auch niemand sehen kann, da offenbar alle Köpfe vorschriftsgemäß auf Knöchelhöhe sind, so hört doch jeder, dass der Lehrer sich nach links hinten begibt. Links hinten bin nur ich. Er erreicht mich, seufzt kurz auf wie ein Klempner bei einem
komplizierten Wasserrohrbruch, den er - Profis trotzen auch hoffnungslosen Fällen - umgehend zu beheben plant, und greift meine linke Hand. Er stopft sie irgendwie an diversen anderen Gliedmaßen vorbei nach unten. „Na bitte, geht doch“, höre nicht nur ich ihn ausrufen.
    Dann setzen wir uns wieder hin, die Beine sollen dabei weit geöffnet werden und gleichzeitig die linke Hand die Zehen des linken Fußes ergreifen, während die rechte Hand die Zehen des rechten Fußes hält. Links schaffe ich, als ich es auch noch rechts versuche, muss ich die linke Hand lösen und bekomme rechts einen Krampf. Wie peinlich. Ein Krampf im Fortgeschrittenenkurs. Hoffentlich merkt das niemand. In diesem Augenblick schlendert der Lehrer wieder an meiner vermeintlich abgeschiedenen Ecke vorbei. Er kommt mir langsam vor wie ein Hai, der genüsslich den schwächsten Fisch des Schwarms, nämlich mich, umkreist. „Vorbeugen, komm da geht noch was, gaaanz nach vorne.“Ich gebe alles und kann den Krampf so lange zurückhalten, bis er weiterzieht, ein anderes Opfer im Visier. Ein Blick nach vorne, Nadine liegt flach wie eine Flunder zwischen ihre Beine gepackt, ihre Zehen und Hände eine vollkommene Einheit.
    Als letzte Demütigung fordert der Lehrer uns zum Spagat auf. Links neben mir, links vor mir, genau vor mir, bei den Yoginis sind überall perfekte Haltungen zu besichtigen. Wie sich die anderen Jungs schlagen, bekomme ich nicht mit, denn wieder gerate ich ins Blickfeld des Lehrers. Kumpelhaft nähert er sich ausgerechnet mir. „Na, das schaffen wir Männer nicht so gut, gell, aber ein wenig mehr dürfte es ruhig sein.“Ich verkneife mir einen Kommentar, widerspreche nie einem Yoga-Lehrer, ist meine Devise, er hat das Recht zu demütigen und die Kraft und den Willen, es zu tun.
    Meine Erleichterung ist groß, als die Stunde sich dem
Ende nähert. Am Schluss kommt doch immer die Kopfstandübung. Den beherrsche ich, der wird mein lädiertes Selbstbewusstsein auf ein Mindestmaß heben. Aber nein, zum ersten Mal in einer Fortgeschrittenenstunde fehlt heute der Kopfstand. Immerhin, wir begeben uns in den Schulterstand. Gerne baue ich diesen sonst immer etwas aus, indem ich die in die Höhe gereckten Beine in den Lotossitz verschränke. Kein Gedanke, das heute zu versuchen. Ich habe jedes Recht, ein Expertentum auch nur vorzutäuschen, durch meine anfängerhafte Ungeschicklichkeit bei den anderen Übungen verwirkt.
    Als passenden Abschluss lege ich mich bei der Endentspannung auch noch verkehrt herum hin, schlafe dabei ein, und bestimmt habe ich auch noch geschnarcht.

    Endlich ist die Stunde vorbei. Wie jemand, der nach durchzechter Nacht am nächsten Tag kopfschmerzgeplagt für immer dem Alkohol entsagen will, gelobe ich, nie mehr beim zehentätowierten, mich nie grüßenden Yoga-Lehrer einen Fortgeschrittenenkurs zu besuchen. Um neues Selbstbewusstsein zu tanken, stufe ich mich selbst am besten zurück auf einen neuen Kurs, der „Gentle“heißt. Früher wurde die Stunde wohl „50+“genannt. Sie ist für alle geeignet, die gerne etwas ruhiger üben wollen, oder für alle, die die Anfängerstunden zu herausfordernd finden. Immerhin, das ist ja
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