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Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)

Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)

Titel: Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
Autoren: Angelika Lauriel
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bringt.
    Er schaut
auf meine Schuhe, meine Beine, meinen Rock, meinen Busen und dann in mein Gesicht.
Ja, ja, ich weiß, so viel Zeit muss sein. Mich überkommt spontaner Brechreiz, als
er sich mit der Zunge über die schmalen Lippen leckt und dann mit einem Lächeln
die von seinen stinkenden Zigarillos gelblich verfärbten Mausezähnchen zeigt. »Haben
heute noch was vor, wie? Gefährliches Schuhwerk, Mädchen!«
    Pfffff,
lasse ich langsam den Atem entweichen und bemühe mich, meinen empört beschleunigten
Herzschlag zu ignorieren. Ich lächle und nicke vage, dann versuche ich, mich so
unelegant wie möglich auf meinem Sitz niederzulassen und verstecke rasch meine Beine
vor seinen gierigen Augen. Er beugt sich zu mir – erschrocken halte ich die Luft
an. Kennen Sie diese Mischung aus schlecht getrockneter Kleidung, Kaffee und Zigarillorauch?
Dann wissen Sie, was ich meine.
    Dürrbier
greift quer über meinen Schreibtisch nach der Maus und sucht im PC eine Adressliste
für mich heraus, die er mit einem seiner persönlichen Kennwörter versehen hat. Dann
bedenkt er mich erneut mit seinem widerlichen Grinsen.
    »Machen
Sie jetzt hiermit weiter. Sie sind eine unserer besten Verkäuferinnen, und die Statistik
hat mir gezeigt, dass Sie heute Morgen schon über Ihrem Schnitt lagen. Also sollten
Sie die richtige Energie haben, um ein paar unserer Spezialkunden zu überzeugen.«
    Lena atmet
zischend ein und versichert mir mit diesem Geräusch ihr Mitgefühl. Ich merke, wie
meine Sicht sich vernebelt, und kämpfe gegen die aufsteigenden Tränen an. Wie gesagt,
ich bin keine Heulsuse. Jedenfalls der eine Zwilling in mir ist keine. – Der andere
leider schon. Tapfer, wie ich bin, schaffe ich es trotz alledem, nicht loszuheulen.
    Mit einem
letzten Blick in meinen Ausschnitt verzieht der Dürrbier sich pfeifend, und ich
bewege den Cursor zur ersten Adresse auf der Liste. Ich glaube, jeder im Callcenter
hat mit den Personen, deren Namen auf dieser Liste stehen, schon zu tun gehabt.
Wir nennen sie auch ›Horrorliste‹, und es ist nicht die einzige ihrer Art. Der Dürrbier
hat sich einen Spaß daraus gemacht, für jedes Bundesland eine Horrorliste zu erstellen.
Er hat, wie er sagt, den Ehrgeiz, auch die widerwilligsten Kunden durch Beharrlichkeit
weichzukochen. Dabei unterschlägt er natürlich großzügig die Tatsache, dass wir
es sind, die die Beharrlichkeit an den Tag legen müssen, und nicht er.
    Ich spüre,
dass jemand neben mir steht, und sehe auf. Maurice’ mitleidiges Kindergesicht lächelt
mir zu, als er mir einen Pappbecher von Starbucks hinstellt. »Den han ich für dich
besorgt. Der Chef hat heit schlechte Laune.«
    Der verführerische
Duft einer Karamell-Latte steigt mir in die Nase und breitet sich von dort aus wohltuend
und stresslindernd in meinem Körper aus. »Maurice, du bist ein Schatz. Danke!«
    Er entfernt
sich auf leisen Sohlen und überlässt mich meiner Arbeit. Ich atme tief durch, dann
wähle ich die erste Nummer. Norbert Trauensieck aus Sankt Wendel.
    Eine dünne
weibliche Stimme. »Trauensieck, hallo, wer is ’n do?« Das muss seine Frau sein.
Steht irgendwo geschrieben, dass ich unbedingt mit Herrn Trauensieck sprechen
muss, um ihm den überteuerten Wein anzudrehen, den er dreimal geordert, die letzten
siebenmal aber abgelehnt hat?
    »Schönen
guten Tag, hier ist Lucinda Schober von der Mediaboutique …«
    »Ach!«,
unterbricht sie mich und hört sich nicht sehr begeistert an, »Sie wolle bestimmt
mei Mann spreche?«
    »Nein, ich
kann mich auch mit Ihnen unterhalten, Frau Trauensieck. Sicher kennen Sie den guten
Rotwein, den Ihr Mann über unseren Dienst bezogen hat?«
    »Ja-a, den
kenne ich.«
    »Wir können
Ihnen ein hervorragendes Ange…«
    »Trauensieck
hier«, fährt die barsche Stimme ihres Mannes dazwischen. Ich sehe regelrecht vor
mir, wie er seiner Frau den Hörer entrissen hat und jetzt ins Telefon blafft. »Lassen
Sie uns in Ruhe, Sie blöde Kuh. Herrgott noch mal. Ich will Ihren Wein nicht mehr,
geht das nicht in Ihren minderbemittelten Schädel?«
    »Entschuldigung,
aber …«
    »Nichts
Entschuldigung. Streichen Sie uns endlich von der Liste, hohle Nuss!«
    Tut, tut,
tut. Er hat aufgelegt. Lena lehnt sich neben ihren Bildschirm, um mir einen fragenden
Blick zuzuwerfen. Ich blase meine Wangen auf, schüttle den Kopf. Sie beißt sich
auf die Unterlippe und lächelt dann komisch-verzweifelt. Wir sitzen halt alle in
einem Boot, soll das heißen.
    Okay, das
war ja erst Kunde Nummer eins.
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