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Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)

Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)

Titel: Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
Autoren: Angelika Lauriel
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Dort arbeite ich schon seit … gut zehn
Jahren. Von wegen Faulheit und Sprunghaftigkeit, sage ich da nur.
    Aber jetzt
komme ich zurück auf das, was ich eigentlich erzählen wollte: Immer wenn ich weinen
muss, passiert eine Katastrophe.
    Auf meinem
Weg vom Parkplatz zum Bürogebäude bewunderte ich heute in den Schaufenstern meine
neuen Schuhe. Mein Herz schlägt jedes Mal höher, wenn ich das Sonnenblumengelb strahlen
sehe. Ach, ich habe im Lauf der Jahre beinahe vergessen, wie sehr Manolos einen
Frauenfuß umschmeicheln. Seit Monaten habe ich auf diese Traumschuhe gespart. Habe
mir alle Restaurantbesuche mit Susa und Kat verkniffen, keine Trüffelpralinés mehr
gekauft, dem guten Kaffee entsagt und stattdessen stinknormalen Brühkaffee getrunken.
Natürlich verzichtete ich auch auf jegliche Aufstockung meiner Garderobe. Nur so
konnte ich das nötige Geld zusammenkratzen, um diese einzigartige Gelegenheit zu
ergreifen. Die High Heels stammen aus der letztjährigen Kollektion, sie verstaubten
weitgehend unbemerkt in einer Ecke des exklusiven Ladens, den ich wiederum nur deshalb
aufsuchte, weil meine Juristenschwester Anna Maria sich ein Paar neue Schuhe gönnen
musste und mir unter dem Vorwand, meinen Rat zu benötigen, damit eine lange Nase
drehen wollte.
    Die gelben
Peeptoe-Manolos hatten auf mich gewartet; sie zogen mich an wie ein Magnet. Keiner
im Laden bekam etwas davon mit. Ich griff unauffällig nach dem Paar, sah das Preisschildchen
und überschlug rasch, wie viele Wochen ich dafür von Tütensuppe leben musste, wenn
ich die Geldgeschenke von meinem Geburtstag dazurechnete. Dann schlich ich – während
Anna Maria irgendwelche Overknees anprobierte – zu der zweiten Verkäuferin im Laden.
Das Glück war mir hold: Sie kennt mich noch von früher und sie mag mich. Sie legte
die Schuhe für mich zurück (»Die will eh keiner mehr, sie sind nicht mehr up to
date.«) und versprach mir, sie sechs Wochen lang aufzuheben.
    So kam das.
    Ich stolziere
auf meinen High Heels zum Bürogebäude, achte dabei peinlich darauf, an dem Lüftungsgitter
neben dem Eingang vorbeizustöckeln, und treffe in der Halle auf den guten Maurice,
unser Mädchen für alles. Er sieht nicht auf meine Schuhe, sondern in mein Gesicht,
und lächelt mich strahlend an. Dann kommt der Fahrstuhl, ich gehe hinein und Maurice
folgt mir. Der Gute kann ja nichts dafür, dass er etwas langsam ist. Dafür schlägt
in seiner Brust ein Herz, das zu keiner Bosheit fähig ist. Vielleicht mag ich ihn
deshalb so gerne, genau wie unser gesamtes Personal.
    Alle lieben
Maurice. Er räumt hinter uns auf, putzt und wischt Staub und auch Kaffee hält er
jederzeit bereit. Im Grunde ist Maurice der einzige ruhende Pol in dem Gewusel und
Lärm. 30 Mitarbeiter, hauptsächlich Frauen, teilen sich einen großen Raum und telefonieren
ohne Unterbrechung. Allesamt sind wir am Ende unserer Schichten aufgedreht und kribbelig,
und dann steht Maurice bereit, um uns mit seinem Kinderlächeln wieder herunterzuholen.
Er wirkt wie ein Beruhigungsmittel ohne Nebenwirkungen. Ja, ich habe mich oft gefragt,
was wir ohne ihn machen würden. Bestimmt ist sich unser Chef, der Dürrbier, über
Maurice’ Bedeutung im Klaren, sonst würde er jemanden, der so unproduktiv ist und
überhaupt nichts verkauft, nicht dulden.
    Maurice
bemerkt anscheinend, dass ich mich heute besonders wohlfühle, denn er öffnet tatsächlich
den Mund, um das Wort an mich zu richten.
    »Un? Geht’s
gut?«
    »Oh ja,
Maurice, heute ist ein toller Tag. Ich trage zum ersten Mal meine neuen Schuhe.
Siehst du?«
    Stolz drehe
ich meinen Fuß, damit er die Manolos bewundern kann. Er sieht sie sich ganz genau
an und gibt mir dabei nicht das Gefühl, dass er am liebsten mit seinem Blick meine
Beine entlang nach oben wandern und mich ausziehen würde, wie die meisten anderen
Männer es in so einem Fall tun würden. Natürlich trage ich heute ausnahmsweise nicht
Jeans und T-Shirt, sondern habe meinen alten Minirock und ein Blüschen ausgegraben.
Maurice hat mich so noch nie gesehen, aber er macht keine anzüglichen Bemerkungen
und zieht auch nicht missfällig die Brauen hoch, wie ich es von meinen Kolleginnen
zu erwarten habe, sondern nickt einfach.
    »Scheen
sind die.«
    Pling, sind
wir im dritten Stock angekommen, und die Tür öffnet sich. Sofort umfangen uns das
Brummen der Computer, das Klingeln der Telefone und die unterschiedlichen Tonlagen
der schnatternden Frauen und vereinzelten Männer. Irgendwo zischt eine
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