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Bei Anruf - Angst

Bei Anruf - Angst

Titel: Bei Anruf - Angst
Autoren: Stefan Wolf
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Beine und brach beide knapp unterhalb der Knie.
    Dietmar wurde von Heck und
Stoßstange gegen die Leitplanke gequetscht, wurde eingeklemmt — wobei beide
Beine unter den Wagen gerieten. Beckenbruch, Riss eines Harnleiters, weitere
innere Verletzungen, zerschundene Unterschenkel und mehr — würde man später an
ihm feststellen.
    Er schrie und schrie. Kopfüber
hing er über dem Abgrund. Baumelnde Arme über der Kante. Schmerzwogen im
Körper. Die Leitplanke knackte. Mehr und mehr schien ihn das Gewicht des Wagens
dagegen zu pressen, zu zerquetschen. Wurde er gleich zweigeteilt? Würde sein
Oberkörper hinabstürzen, während die untere Hälfte an der Leitplanke kleben
blieb?
    Auch Adolf schrie noch immer,
robbte rücklings unter Einsatz der Ellbogen vom Wagen weg und zog dabei seine
Beine hervor. Dieser Anblick! Nein! In einem grotesken Winkel — fast
rechtwinklig zur Seite abgeknickt — lagen seine Unterschenkel vor ihm.
    Und weiter drückte der Wagen
gegen Dietmar und die Leitplanke. Die Schraube, die er fast ganz herausgedreht
hatte, fiel auf die felsige Kante. Er sah’s, während ihm schon schwarz vor
Augen wurde. Aber noch hielt die Begrenzung.
     
    *
     
    Olivia wachte auf, fuhr hoch
aus einem Traum und blickte um sich. Dieses Zimmer? Ach so! Die Erinnerung
setzte ein. Sie wusste, wo sie war, aber das löste keine Freude aus. Und alles
wegen Dietmar! Weil er ein Verbrecher war, geriet sie in diese Situation.
    Es klopfte. Sie begriff: Das
war schon zum zweiten Mal. Das erste Klopfen hatte sie geweckt.
    Sie zog sich die Bettdecke bis
ans Kinn.
    „Ja, bitte?“
    Die Tür wurde geöffnet. Es
hatte leider kein Schlüssel gesteckt. Olivia hatte Specht erwartet oder
jemanden, den sie nicht kannte. Aber über die Schwelle trat — Kuno Ivoritzki.
    „Na, gut geschlafen?“
    Nicht zu fassen, wie locker der
sich gab!!!
    „Ich will hier weg. Mir gefällt
es hier nicht. Ich will...“, sie schluckte und war plötzlich den Tränen nahe. „Ich
weiß ja, was ihr treibt. Du und Dieti und dieser Adolf. Ich will nicht
reingezogen werden in eure... eure Taten.“

    „Nun mal langsam!“
    Er schloss die Tür hinter sich.
Sein Lächeln war maskenhaft. Erst jetzt sah sie, dass er ihr ein Tablett
brachte mit Frühstück — offenbar mit dem, was sie mochte: Früchtetee,
Cornflakes mit Milch und eine Buttersemmel mit Honig.
    Kuno stellte das Tablett auf
den Nachttisch und setzte sich auf den Stuhl am Fenster.
    „Iss erst mal!“
    „Ich habe keinen Hunger.“
    „Spiel nicht den Trotzkopf,
Olivia! Dir verdanken wir die Katastrophe! Es sieht schlimm aus! Die Lage hat
sich verändert. Wir schweben über dem Abgrund. Schuld daran bist du. Dein Anruf
beim Sorgofon hat alles ausgelöst. Jaja, ich weiß: Du hast weder Namen noch
Adresse genannt. Du hast dir seelisch in die Hose gemacht, aber statt mit mir
oder Dietmar darüber zu reden, wolltest du dich bei diesen Psychotüten
ausheulen. Und du hast sie unterschätzt, bzw. du hast überhaupt nicht soweit
gedacht: Dass da nämlich vier Kids sind, die ich mir in die Hölle wünsche. Die
haben offenbar in meiner Wohnung einen Kumpel überwältigt und die Bullen
eingeschaltet. Beinahe wäre ich dort in eine Falle getappt. Zum Glück hatte ich
‘ne Ahnung, habe von unterwegs angerufen und Havliczek hat mich gewarnt.
Jedenfalls kann ich nicht zurück. Keiner kann zurück. Am wenigsten Dietmar.
Unsere Mitarbeiterin in Hamburg ist auch schon hinter Gittern, denn die Bullen
wissen Bescheid. Total. Havliczek hat kein Stehvermögen. Der redet. Wir sind
jetzt auf der Fahndungsliste. Und dieses Verhängnis hast du ausgelöst.“
    Sein Grinsen wischte sich wie
von allein aus seinem Gesicht. Kalt starrte er sie an.
    „Das... tut mir... Leid.“ Sie
stotterte.
    „Ja! Hinterher.“
    „Ich... war doch so
verzweifelt.“
    „Du hast uns alle geopfert — wegen
deiner moralischen Bedenken, wegen deiner seelischen Bauchschmerzen.“
    Sie antwortete nicht.
    Er stand auf, wandte sich zum
Fenster und starrte hinaus. Ein grauer Morgen, gar nicht frühlingshaft und viel
zu kalt.
    Traudel Bruhn fiel ihm ein, das
Mädchen, dessen Wagen er geraubt hatte. Sie saß sicherlich noch immer in dem
Schleuserfahrzeug. Er grinste. Wahrscheinlich war jetzt ihre Platzangst
kuriert. Und wenn nicht... Dann fällt sie von einer Ohnmacht in die andere,
dachte er.
    Eigentlich hatte er ja
versprochen, ihre Eltern zu verständigen. Aber jetzt, da er selbst total in der
Tinte saß, schien ihm das nicht mehr verbindlich zu
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