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Bei Anruf - Angst

Bei Anruf - Angst

Titel: Bei Anruf - Angst
Autoren: Stefan Wolf
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Gute-Nacht-Beschallung. Der Sender lebte von Werbung, Spenden und
Zuschüssen. Und neuerdings unterhielten dort gemeinnützige Organisationen das
sogenannte Sorgofon: eine telefonische Hotline von Jugendlichen für
Jugendliche. Unter der Nummer 3 33 11 11 glühte allabendlich der Draht, exakt
von 19.00 bis 21.00 Uhr.
    „Irre Aufgabe“, stellte
Klößchen fest, „die sich Gaby da ans Bein gebunden hat.“
    „Sie hilft eben gern“, Tim wich
einer Pfütze aus, „ist eine ihrer vielen wunderbaren Eigenschaften. Sie hilft
Tieren, Kindern, Ausländern, alten Menschen, Bedürftigen und eben auch unseren
altersgleichen Planeten-Behausern. In der Gruppe der Zehn- bis Fünfzehnjährigen
gibt’s ja Probleme — hoch hundert. Damit könnte man das Internet füllen und es
wäre kein Platz mehr für den übrigen Senf.“
    „Hähäh“, machte Klößchen zum
zweiten Mal. „Ich stelle mir gerade vor, wie man durch Senf surft. Im Übrigen
habe ich ‘ne Idee. Willst du sie wissen, Karl?“
    „Nein.“
    „Selber schuld.“
    Sie überquerten den
Nikolai-Platz. Auf der anderen Seite liegt das Funkhaus City III.

    Gaby war dort heute Abend als
Sorgofon-Beraterin tätig, als die Jüngste im Team. Eine 60-stündige Ausbildung
hatte sie vorher gemacht — wie ihre Kollegen. Die waren allerdings älter als
Tims 14jährige Freundin. Im Schnitt 16 bis 24. Fünfzig Mitarbeiter, alle
freiwillig und ohne Entgelt. Zwei abends am Telefon — und im Hintergrund für
den Notfall ein Profi, ein ausgebildeter Psychologe (Seelenleben-Wissenschaftler) oder Pädagoge. Das war auch erforderlich, denn manche Situation spitzte sich zu
bis zum Schweißausbruch. Sicherlich — viele Anrufer wollten nur wissen, wie man
geschickt die Eltern belügt, sich beim Ladendiebstahl nicht erwischen lässt
oder als Schwarzfahrer in öffentlichen Verkehrsmitteln durchkommt. Diese
Scherzbolde wurden schnell abgeschmettert. Doch dann waren da die wirklich
verzweifelten Anrufer/innen. Schlechte Noten — Angst vor zu Hause, prügelnde
Väter, Ausreißer von jwd — jetzt allein und ohne Geld in der Stadt, Kids mit
Drogenproblemen oder Selbstmordgedanken aus Liebeskummer.
    Jedesmal wenn Gaby von ihren
Sorgofon-Fällen erzählte, standen den Jungs die Haare zu Berge. Und Tim war
voller Bewunderung für seine Freundin.
    Der Funkhaus-Pförtner kannte
die männlichen 75 Prozent von TKKG, grinste und winkte sie durch.
    Lift, grauer schmuckloser Flur,
schalldichte Studios, zwei Männer — die zum Klo gingen und sich dabei über
tagespolitische Blödheiten stritten. Das Sorgofon war im Seitentrakt
untergebracht, den man über eine rundum verglaste Brücke erreicht, die über den
Innenhof führt, wo jetzt weniger Kfz parkten als am Tage.
    Das Sorgofon war eine
telefonische Hotline, kein Sender — also konnte man eintreten ohne
Vorsichtsmaßnahme, ohne Zehenspitzengang und angehaltenen Atem.
    „Ich habe wirklich ‘ne lustige
Idee“, murmelte Klößchen. Doch niemand ging darauf ein.
    Tim öffnete die Tür. Er war
schon mal hier gewesen — aber nach 21.00 Uhr — um Gaby abzuholen. Nichts hatte
sich verändert.
    Ein großer Raum, grell
erleuchtet. Schreibtische mit PC und Konsolen, Telefone — drei insgesamt.
Regale mit viel Fachliteratur — die von den Beratern ausgeliehen wurde.
    Gaby saß am Schreibtisch, trug
Kopfhörer mit dem angebügelten Mikrofon, hatte sich auf dem Drehsessel
umgewandt und lächelte erfreut. Sie öffnete schon den Mund, um die Jungs zu
begrüßen, erhielt aber in diesem Moment einen Anruf.
    Rasches Pusten gegen die
Ponyfransen. Dann meldete sie sich.
    „Sorgofon — Gaby Glockner.
Halloooooooooooo!“
    Dieses Hallo, dachte Tim, hat
man den Beratern beigebracht — als fröhliche Einstimmung.
    Hinten bei der
Espresso-Maschine hatte Dr. Ingeborg Malparese ihren Schreibtisch. Die etwa
30-jährige Psychologin war ein nettes graues Mäuschen und zur Zeit entsetzlich
vergrippt. Tomatenrote Nase. Vor sich hatte sie drei Stapel Papiertaschentücher
aufgebaut. Sie streckte auch gleich abwehrend die Hände aus — obwohl mit
freundlichem Lächeln. Vielleicht argwöhnte sie, die Jungs würden sie umarmen
und abbusseln.
    Tim zog sich einen Stuhl heran
und setzte sich neben Gaby, ohne sie zu stören, erhielt aber trotzdem — am
Mikrofon vorbei — ein Streif-Bussi auf die Wange.
    Am zweiten Schreibtisch saß ein
dunkelhaariges Mädchen, das keiner der Jungs kannte. Mit ergebenem Dackelblick
informierte sie einen offenbar nervigen Anrufer über das
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