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Bei Anbruch des Tages

Bei Anbruch des Tages

Titel: Bei Anbruch des Tages
Autoren: Sveva Casati Modignani
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beendete das Gespräch.
    Vermutlich eine Auseinandersetzung zwischen den weiblichen Angestellten, die die Mombelli überforderte. Während Léonie ihre Tochter entspannt weiterstillte, hatte sie die Abteilung genau vor Augen. Der Personalchef, Dottor Luigi Stucchi, war ein äußerst attraktiver Mann, der allerdings verheiratet war. Alle sechs weiblichen Angestellten wetteiferten darum, ihm ein Lächeln oder ein Kompliment abzuringen, was er manchmal verschenkte, ohne zu merken, welche Erwartungen er damit bei den jungen, hübschen, für ihn schwärmenden Damen weckte.
    Die Arbeit des Personalchefs, der an der Wirtschaftsuniversität Luigi Bocconi in Mailand studiert hatte und zwei Master-Abschlüsse (von denen er einen in Italien und einen im Ausland erworben hatte) vorweisen konnte, war alles andere als einfach, und er sagte gern: »Es ist einfacher, dreihundert Arbeiter zu führen als drei weibliche Angestellte.«
    Léonie mit ihrer Arbeitserfahrung teilte Stucchis Meinung.
    Doch vielleicht weil sie eine Frau war und den Frust dieser Angestellten, die oft kein einfaches Leben hatten, verstehen konnte, war sie für die jungen Damen so etwas wie eine mütterliche Vertraute geworden und wurde gern gerufen, wenn Kontroversen beigelegt und geeignete Lösungen gefunden werden sollten.
    Dennoch las sie nach dem Stillen, Giacinta weiterhin im Arm, Gioia erst einmal ein Märchen vor, die sie nach jedem Satz mit endlosen »Warums« unterbrach: »Warum hält der Drache die schöne Prinzessin gefangen? Warum benutzt der junge Ritter keine Pistole, sondern ein Schwert, um den Drachen zu töten? Warum hat der Drache keine Freundin?«
    Als Giacinta eingeschlafen war, übergab sie ihre jüngste Tochter dem Kindermädchen und ging mit Gioia zum Mittagessen nach unten. Giuseppe aß in der Schule und Gioacchino im Kindergarten. Dann brachte sie ihre Drittgeborene zum Mittagsschlaf ins Bett und kehrte in die Firma zurück.
    Â»Die Rovani und die Isgrò haben sich in die Haare bekommen. Und als Picchi, der Buchhalter, dazwischengehen wollte, hat er eins auf die Nase bekommen. Daraufhin bekam er Nasenbluten, und seine Nase sieht jetzt aus wie eine rote Tomate«, erklärte Signorina Mombelli, kaum dass Léonie einen Fuß in ihr Büro gesetzt hatte.
    Sie kannte die beiden Streithennen, beide hübsch und fest entschlossen, sich besonders hervorzutun. Signorina Rovani arbeitete schon seit fünf Jahren in der Firma und hielt sich für die Schönheitskönigin ihrer Abteilung. Ihre Konkurrentin war erst vor wenigen Monaten eingestellt worden und war nicht nur ebenso schön, sondern auch ehrgeizig. Sie hatte fest vor, ihre Kollegin vom Thron zu stoßen. Die beiden hatten sich auf Anhieb gehasst und führten unter Anwendung von kindischen Streichen einen regelrechten Krieg gegeneinander. Und alle beide waren in Dottor Stucchi verliebt.
    Â»Die Rovani hat die Isgrò eine Nutte genannt, bitte verzeihen Sie den Ausdruck. Und die hat die Rovani wiederum als alte Jungfer bezeichnet, die nicht mehr tue, als für den Chef zu spionieren. Als Picchi verletzt wurde, habe ich den Wachmann gerufen, damit er die beiden trennt. Wir haben es hier mit einem ernsten Problem zu tun, Signora«, sagte die Sekretärin aufgeregt.
    Léonie fragte sich, ob Picchi Anzeige erstatten sollte, und rief ihn zu sich ins Büro.
    Seine Nase erinnerte tatsächlich an eine Tomate, aber da er seit fünfunddreißig Jahren für die Cantonis arbeitete, spielte der Mann den Vorfall herunter.
    Â»Ich habe es fast schon darauf angelegt. Man sollte sich nicht einmischen, wenn zwei sich hassen. Aber sie sind wirklich richtig aufeinander losgegangen«, erklärte der ältere Angestellte.
    Â»Sie wollen also keine Anzeige erstatten?«, fragte Léonie.
    Â»Das würde nur dem guten Ruf der Firma schaden«, erwider te er.
    Â»Und was schlagen Sie stattdessen vor?«, fragte sie, wohl wissend, dass sie schlimmstenfalls beide Frauen entlassen musste.
    Â»Dann würden wir zwei gute Angestellte verlieren. Aber wir müssen sie trennen, ihnen getrennte Büros zuweisen«, riet Picchi.
    Léonie bedankte sich, entließ ihn und ließ die beiden Frauen rufen.
    Die standen ihr gegenüber, bis sie sie aufforderte, auf der anderen Seite ihres Schreibtisches Platz zu nehmen. Sie sah ihnen ernst in die Augen, ohne einen Ton zu sagen.
    Signorina Isgrò gab
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