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Begraben

Begraben

Titel: Begraben
Autoren: Elena Sender
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hinterließ die dritte Nachricht, wobei sie versuchte, ihre Panik zu verbergen.
    In kleinen Schlucken trank sie ihren Kaffee. Seit nunmehr fünf Jahren versuchte Cyrille, ihre Patienten glücklicher zu machen. Sie war eine uneingeschränkte Anhängerin der amerikanischen Schule, die das Glück für einen Geisteszustand hielt, den man – wie jeden anderen – herbeiführen konnte. Aber vor allem war sie davon überzeugt, dass hinsichtlich der neuronalen Fähigkeiten nicht alle Menschen von Geburt an gleich waren. Manche hatten eine Veranlagung dazu, glücklich zu sein, andere nicht. Sie hielt es für ihre Aufgabe, die Dinge bei denjenigen auszugleichen, die nicht das große Los gezogen hatten.
    Das war ihr einziges Bestreben.
    Und was auch immer geschehen mochte, das durfte sie nicht aus den Augen verlieren.
    *
    Der Nachmittag verging ohne besondere Vorkommnisse. Zwischen den einzelnen Terminen konzentrierte sich Cyrille auf ihr Problem und notierte auf einem Block alles, was ihr zu ihrer Zeit in Sainte-Félicité einfiel. Dann versuchte sie, eine Liste aller Patienten zu erstellen, die sie behandelt hatte. Die Sache ging nicht schnell voran. Das Ganze lag über zehn Jahre zurück, und wegen der wechselnden Dienstzeiten hatte sie manche von ihnen nur ein paar Mal gesehen. Das Blatt war noch halb leer. Sie hätte sämtliche Krankenakten aus der damaligen Zeit konsultieren müssen. Aber in Sainte-Félicité war sie nicht mehr willkommen.
    Die letzte Patientin für diesen Tag nahm ihr gegenüber Platz. »Emotionaler Bruch mit suizidaler Vorgeschichte« hatte Marie-Jeanne auf dem Krankenblatt vermerkt. Isabella DeLuza war verzweifelt. Die Hausfrau und Mutter von vier inzwischen schon großen Kindern war Mitte fünfzig und eine angenehme Erscheinung. Sie lebte in Maisons-Laffitte »in einem wunderschönen dreistöckigen Haus, das wir am Rande des Parks haben bauen lassen«.
    Isabella hatte nach eigener Aussage »zwanzig Kilo zu viel« und einen »untreuen Ehemann«. Cyrille notierte, dass die Frau eine direkte Verbindung zwischen beiden Faktoren herstellte. Sie hatte Mühe, sich auf den Monolog ihrer Patientin zu konzentrieren. Als ihr das auffiel, zwang sie sich, zuzuhören. Madame DeLuza rang die Hände, Tränen standen ihr in den Augen.
    In diesem Sessel hatten schon viele Frauen den Ehebruch ihres Mannes beweint. In den meisten Fällen wirkten sie im wahrsten Sinne des Wortes niedergeschmettert, so als hätte man ihnen einen unerwarteten Schlag versetzt. Und jedes Mal fragte sich Cyrille, warum sie die Entwicklung nicht hatten kommen sehen. Die langsame Entfremdung des Ehemannes, das Desinteresse. Madame DeLuza unterdrückte ein Schluchzen.
    »Entschuldigen Sie … aber schließlich war ich dreißig Jahre lang seine Frau, können Sie sich das vorstellen?«
    Ihre Stimme brach. Cyrille schob ihr sanft eine Schachtel Papiertaschentücher zu.
    »Erzählen Sie bitte weiter.«
    »Seit einem Jahr ist unser Leben die Hölle. Dauernd kritisiert er mich, tu dies, tu das. Er wurde immer unverschämter, sogar in aller Öffentlichkeit. Dabei war er es, der sich hinter meinem Rücken unmöglich benahm!«
    Die Augen der Patientin weiteten sich vor Wut. Das erinnerte Cyrille an Benoît und seine Exfrau und an deren Verzweiflung, als sie entdeckte, dass der Professor für Neurobiologie mit einer seiner Studentinnen, in diesem Fall Cyrille, ein Verhältnis hatte.
    So, als hätte ihr iPhone ihre Gedanken erraten, begann es zu vibrieren. Cyrille hätte es, wie sonst auch, während der Behandlung ausschalten müssen. Auf dem Display sah sie eine SMS von Benoît. Cyrille zögerte, entschuldigte sich schließlich bei ihrer Patientin und las die Nachricht.
    »Beha deine Nachrichten bekommen, Liebste. Bin in Sitzung bis 20   Uhr. Unmöglich rückrufen. Was ist los?«
    Cyrille räusperte sich.
    »Entschuldigen Sie mich bitte, ich muss meinem Mann antworten, es dauert nur zwei Sekunden.«
    Sie schrieb auf dem Touchscreen:
    »OK, sehen uns im Restaurant. Küsse.«
    Cyrille entschuldigte sich noch einmal und schaltete das Handy aus. Nach einem halbstündigen Gespräch stand fest, dass sich Isabellas Fall hervorragend für einen Versuch mit Meseratrol eignete: eine Patientin, die unter einem begrenzten Schmerz litt.
    »Ich kann Ihnen eine Therapie vorschlagen, um Ihr Leid zu lindern, und zusätzlich einige Sitzungen, um die Situation in den Griff zu bekommen.«
    Isabella DeLuza hob die Hand an den Hals, als würde sie ersticken.
    »Frau Doktor,
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