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Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)

Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)

Titel: Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)
Autoren: Niko Paech
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(Gartengemeinschaft).
    Selbstredend sind auch Subsistenzhandlungen praktikabel, die keiner Ausschöpfung der vollständigen Palette denkbarer Subsistenzinputs und -outputs bedürfen. Wer seinen eigenen Garten bewirtschaftet, die Nutzungsdauer seiner Textilien durch eigene Reparaturleistungen steigert oder seine Kinder selbst betreut, statt eine Ganztagsbetreuung zu konsumieren, nutzt keine sozialen Beziehungen, wohl aber Zeit und »handwerkliches« Können. Die Outputs erstrecken sich in diesem Beispiel auf Nutzungsdauerverlängerung und Eigenproduktion.
    Insoweit Subsistenzkombinationen im obigen Sinne Industrieoutput ersetzen, brauchen wir weniger Geld. Eine notwendige Bedingung für geringere Fremdversorgungsniveaus besteht also in einem gleichgewichtigen Verlauf von Industrierückbau und Subsistenzaufbau. So ließe sich die Reduktion an monetärem Einkommen und an Industrieoutput sozial auffangen.

    Suffizienz und Zeit
    Die im Kapitel V dargestellte kulturelle Rückkopplung, derzufolge Wachstum die Notwendigkeit neuen Wachstums erzeugt, hat weitere negative Wirkungen, zumal Lebenszufriedenheit auch auf zwischenmenschlichen Beziehungen, der Integrität des sozialen Umfeldes, Anerkennung eigener Fähigkeiten, Selbstwirksamkeit, Gesundheit, Sicherheit sowie auf einer als intakt empfundenen Umwelt gründet. Eine Glück stiftende Ausschöpfung derartiger Potenziale erfordert kein Geld, sondern Zeit. Andererseits bedeutet die Finanzierung eines immer höheren materiellen Lebensstandards eine Maximierung der Erwerbsarbeit. Folglich verbleibt weniger Zeit für marktfreie, vormals in Eigenarbeit ausgeführte Tätigkeiten, wie zum Beispiel die Kindererziehung, soziales Engagement, die Pflege des Haushalts oder eines Gartens, die nun ebenfalls in Konsumakte bzw. Dienstleistungen umgewandelt und finanziert werden müssen, was abermals den Bedarf an monetär entgoltener Arbeit erhöht und somit Zeit kostet.
    Insoweit die Auswahl an Kaufoptionen geradezu explodiert, der Tag aber nach wie vor nur 24 Stunden hat, verschärft sich dieser Konflikt, weil am Ende sogar die Zeit zum Konsumieren knapp wird. Hier liegt der Schlüssel für ein neues Verständnis von Suffizienz, nämlich jenseits des Verzichts. Nicht selten ist die Reduktion oder Rückkehr zum übersichtlichen und beherrschbaren Maß der richtige Weg, um den Nutzen einer Sache oder Aktivität zu optimieren. Was in der Medizin eine bekannte Tatsache ist, gilt für Konsum und Mobilität nicht minder: Eine Substanz, deren Einnahme in geringer Menge eine heilende Wirkung entfaltet, kann bei zu hoher Dosis zum lebensbedrohenden Gift werden.
    Damit Konsumaktivitäten überhaupt Nutzen stiften können, muss ihnen ein Minimum an eigener Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet werden. Da verfügbare Zeit aus individueller Perspektive nicht gesteigert werden kann, droht eine Eskalation: Ein knappes, nicht vermehrbares Quantum an Zeit muss auf eine immer größere Anzahl von Konsumobjekten verteilt werden. Jedem einzelnen davon wird ein zusehends geringeres Quantum an Zeit zuteil.
    Mittlerweile verzetteln wir uns in einer reizüberfluteten Konsumsphäre. Die Menge der zeitaufwendig zu verarbeitenden Neuheiten, Wahlmöglichkeiten und zugehörigen Informationen steigt kontinuierlich. Moderne Gesellschaften haben deshalb ein Stadium erreicht, in welchem nicht mehr Kaufkraft, sondern Zeit den Engpassfaktor des individuellen Strebens nach Glück darstellt. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem gerade noch die Zeit aufgebracht wird, Konsumgüter zu suchen, zu identifizieren, zu vergleichen, zu prüfen, zu kaufen, entgegenzunehmen, unterzubringen – und dann womöglich nicht zu nutzen, einfach weil die dafür notwendige Zeit bereits durch die Summe unzähliger Auswahl- und Kaufhandlungen aufgezehrt wurde. Die Wellen der zeitaufwendig wahrzunehmenden und zu verarbeitenden Neuheiten, Wahlmöglichkeiten nebst zugehörigen Informationen ereilen uns mühelos über die allgegenwärtige digitale Infrastruktur.
    Wir kommen nicht mehr zur Ruhe, denn wo wir stehen, gehen oder auf ein Display schauen, ereilen uns neue Angebote der Selbstverwirklichung, die zur Kenntnis genommen und genutzt werden wollen. Unter dem Regime der Zeitknappheit hat das Wachstum der individuellen Möglichkeiten einen verheerenden Preis, nämlich Oberflächlichkeit – und die macht niemanden glücklich, sondern befördert den Burnout. Viele Verheißungen des modernen Zeitalters sind verwirklicht: Wir sind frei, haben Geld
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