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Bedroht

Bedroht

Titel: Bedroht
Autoren: Hans Koppel
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Dunkelheit. Einige Beamte lehnten sich über den Abgrund und hielten nach der Leiche Ausschau, die in dem tosenden weißen Schaum aber nicht auszumachen war.
    Die Motorradjugend der Kulla-Halbinsel war von dem plötzlichen Treiben aufgeschreckt worden und wallfahrtete auf den Berg. Ein Polizist, der so frischgebacken war, dass seine Uniform noch nach Naphthalin duftete, sorgte dafür, dass niemand das blau-weiße Flatterband passierte, das zwischen zwei Bäumen quer über den Weg gespannt worden war. Die Neugierigen mussten sich wie auf einem Rockkonzert damit begnügen, das Schauspiel mit ihren Handykameras vom Parkplatz aus zu dokumentieren.
    Trude berichtete, was sie gesehen hatte. Erik habe mit dem Mädchen ganz oben auf dem Felsen gestanden, die Kleine dann plötzlich losgelassen und sich in die Tiefe gestürzt. Karlsson und Gerda tigerten um Anna und Hedda herum, die immer noch auf der Erde kauerten, und beteuerten, dass kein Grund zur Eile bestehe und dass sie sich unterhalten könnten, wenn Anna dazu in der Lage sei.
    Dann ging Karlsson in die Hocke.
    »Wir haben seinen Laptop beschlagnahmt«, flüsterte er. »Nur, dass Sie das wissen.«
    »Mein Mann«, sagte Anna. »Ich möchte, dass Sie meinen Mann anrufen.«
    Karlsson tätschelte ihre Schulter und stand auf.
    »Was?«, sagte Hedda und sah ihre Mutter an.
    »Nichts, Liebling«, antwortete diese und drückte sie an sich.
    Als sie schließlich wegfuhren, traf der Helikopter ein. Er schwebte mit seinem Suchscheinwerfer über den Felsen. Ein Taucher bereitete sich darauf vor, Eriks Leiche aus dem Wasser zu fischen. Trude musste aus ermittlungstechnischen Gründen ihren Wagen zurücklassen und wurde von einem hilfsbereiten Beamten nach Hause gefahren.
    Karlsson und Gerda fuhren Anna und Hedda zum Krankenhaus in Helsingborg, wo Lukas sie bereits erwartete. Die Polizisten drangen nicht darauf, sich mit Anna und Hedda zu unterhalten. Wichtiger war, dass sich alle erst einmal richtig ausruhten. Sie wollten aber gerne ein paar Worte mit Lukas wechseln.
    Er folgte ihnen in ein leeres Behandlungszimmer.
    »Wir haben Annas Mutter gefunden«, sagte Karlsson. »Leider lebt sie nicht mehr.«
    »Ja«, sagte Lukas nur.
    Die Beamten sahen sich an.
    »Sie verstehen uns, nicht wahr?«, sagte Karlsson.
    Lukas nickte.
    »Wir kennen den genauen Tathergang noch nicht, aber wir wissen, dass Kathrine Erik Månsson zu Hause aufgesucht hat. Irgendetwas ging schief.«
    »Ich verstehe«, erwiderte Lukas in einem Tonfall, der auf das Gegenteil schließen ließ.
    »Sie ist tot«, sagte Karlsson.
    Lukas nickte grimmig und schaute zwischen Karlsson und Gerda hin und her. Er blinzelte, und in seinem Gesicht begann es zu zucken.
    »Tut mir leid«, sagte Karlsson und strich Lukas tröstend über den Rücken.
    Eine gute Minute standen sie so da, bis Lukas Karlsson von sich wegschob, verlegen lächelte, die Nase hochzog und sich betreten räusperte.
    »Wir haben Anna noch nichts erzählt«, sagte Gerda. »Vielleicht sollten wir damit noch warten? Das wäre vielleicht besser.«
    »Was? Ja. Nein. Ich weiß nicht. Ist sie hier im Haus? Ich meine, Kathrine. Ist sie hier? Soll ich sie identifizieren?«
    »Nicht jetzt.«
    Lukas nickte.
    »Möchten Sie mit Anna sprechen?«, fragte Karlsson. »Wir haben das Kriseninterventionsteam angefordert. Sie müssten gleich hier sein.«
    Lukas deutete über seine Schulter.
    »Meine Familie. Ich dachte, dass ich … dass wir … Ich glaube, ich will … dass wir … ich will mit ihnen zusammen sein.«
    Sie gingen zurück. Anna und Hedda saßen dicht nebeneinander auf einer Pritsche. Lukas setzte sich neben seine Tochter.
    Anna sah Karlsson und Gerda an, die in der Tür stehen geblieben waren.
    »Sie haben sie gefunden«, sagte sie.

98
    Die Leute vom Kriseninterventionsteam waren fähig, aber Anna war nicht willens, sich mit ihnen zu unterhalten. Sie wollte kein Mitleid, sie wollte auch keinem Fremden ihr Herz ausschütten. Sie wollte sich nur um ihren Mann und ihre Tochter kümmern. Niemand sollte ihr Beisammensein stören, weder mit Freundlichkeit noch mit Fürsorglichkeit. In ein paar Tagen, vielleicht. Aber nicht jetzt.
    Die herbeizitierten Therapeuten hatten dafür Verständnis, überreichten Lukas eine Visitenkarte und versicherten, jederzeit, Tag und Nacht, für sie da zu sein. Sie sagten für die folgenden Stunden dramatische Gefühlsschwankungen voraus und boten Beruhigungstabletten an.
    Lukas versprach, sich zu melden, und geleitete seine Familie zum Auto.
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