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Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!

Titel: Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Union 360 000 Soldaten auf dem Schlachtfeld und durch Krankheiten gestorben, der Süden hatte 258 000 Tote zu beklagen. Damit hatten über 600 000 meist junge Männer im Krieg den Tod gefunden, fast 2% der damaligen Gesamtbevölkerung, die zu jener Zeit bei gerade mal 31 Millionen lag. (Heute haben die Vereinigten Staaten über 280 Millionen Einwohner.)
    Wie unglaublich hoch und dramatisch dieser entsetzliche Blutzoll war, lässt sich nur ermessen, wenn man ihn mit den Verlusten der amerikanischen Truppen im Ersten und Zweiten Weltkrieg vergleicht: Im Ersten Weltkrieg hatten die Amerikaner 115 000 Gefallene zu verzeichnen und im Zweiten Weltkrieg 259 000, also weniger als die Hälfte der Toten, die der amerikanische Bürgerkrieg knappe hundert Jahre vorher bei einer entschieden geringeren Gesamtbevölkerung gefordert hatte.
    Wie so oft in der Geschichte hatte der Krieg die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer gemacht. Eine Folge des Bürgerkrieges war ein Jahrzehnt der finanziellen Panik und der wirtschaftlichen Depression, die zur Schließung von unzähligen Geschäften, Betrieben und Fabriken führte, wodurch die Arbeitslosigkeit nochmals einen steilen Anstieg nahm. In einem Zeitraum von drei Monaten verzeichnete man beispielsweise 1874 allein in New York über 90 000 Arbeitslose und Entwurzelte, die nachts in den Polizeirevieren Unterschlupf fanden, weil sie ohne eigene Unterkunft und ohne jede finanzielle Mittel waren. Viele von ihnen waren Kinder. Und so erniedrigend die »Präsentationen« auf dem Zug nach Westen auch abliefen und so hart und unerfreulich das Schicksal von so vielen Waisenzugkindern auch gewesen sein mochte, die als billige Farmarbeiter missbraucht wurden, so muss man doch auch bedenken, worin die Alternative bestanden hätte: in bitterstem Elend, einem unbarmherzigen Überlebenskampf auf den Straßen der Großstädte und einer oftmals kurzen Lebensdauer.
    In Anbetracht der Tatsache, wie sehr heutzutage visuelle Medien unser Geschichtsbewusstsein prägen, zum Schluss noch einige Anmerkungen zu Five Points und der historischen Wahrheit, da diese, etwa in dem Monumentalfilm Gangs of New York von Martin Scorsese, oft arg verfälscht wiedergegeben wird. Einmal ganz davon abgesehen, dass Scorsese mehrere historische Ereignisse, die in weit auseinander liegenden Jahrzehnten passiert sind, in einen Topf wirft und in seiner Filmhandlung miteinander vermengt, geben zahlreiche Journalisten ihr historisches Nichtwissen preis, indem sie in ihren Rezensionen das gleichnamige Buch von Herbert Asbury, das 1927 erschienen ist und Scorsese als Vorlage diente, als Roman bezeichnen. In Wirklichkeit handelt es sich um ein Sachbuch, und zwar um eine späte und recht bunte Zusammenstellung von mehr oder weniger gewissenhaft recherchierten Geschichten und ebenso vielen Legenden. Die Zusammenstöße von rivalisierenden Gangs ethnisch unterschiedlicher Herkunft hat es damals zwar gegeben, wie es sie auch heute noch in fast allen Großstädten gibt. Jedoch lag ihre Blütezeit in Five Points weit vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges. Ferner hatte man das mächtige Backsteingebäude Old Brewery mit seinem Labyrinth aus vielen kleinen Wohnhöhlen und Gängen, in dem viele Filmszenen angesiedelt sind, schon im Jahr 1852 abgerissen, es war also zur Zeit der zentralen Filmhandlung überhaupt nicht mehr existent. Auch was die blutigen Straßenschlachten zwischen den Gangs betrifft, haben diese in keiner Weise das alltägliche Leben von Five Points bestimmt und schon gar nicht in dieser überwältigenden Art, wie es der Film seinen Zuschauern weismachen will. Armut, skrupellose Ausbeutung, Prostitution, Korruption und Verbrechen sind in Five Points in jeder nur denklichen Form tagtäglich Hand in Hand gegangen, aber in einem viel bescheideneren Umfang, als die Bilder der blutigen Schlachten suggerieren. Im Film Gangs of New York wird leider nicht Geschichte dargestellt, sondern Legendenbildung betrieben, was einem Filmemacher nicht vorzuwerfen ist, solange er nicht für sich und sein Werk in Anspruch nimmt, ein getreues Bild amerikanischer Geschichte auf die Leinwand zaubern zu wollen. Somit ist jedem, der des Englischen mächtig ist und sich selbst ein getreues Bild von den Vorgängen in Five Points in jenen Jahren machen möchte, die Lektüre des Sachbuches The Gangs of New York - An Informal History of the Underworld von Herbert Asbury sowie das noch viel genauere und kritischere Werk Five Points von Tyler Anbinder
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