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Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben

Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben

Titel: Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben
Autoren: Klaus Mainzer
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mechanische Analogien erklären wollte. InseinerAbhandlungvonl855 werden Flüssigkeitsströmungen mit fiktiven Eigenschaften (z.B. „Inkompressibilität“) eingeführt und elektrischen Strömen gegenübergestellt. Induktionserscheinungen verdeutlicht Maxwell durch geschnittene Kraftlinien. Ein Magnetfeld entspricht dem Wirbel einer Strömung. Erst in der Abhandlung A Dynamical Theory of Electromagnetic Field (1884) liefert Maxwell eine mathematische Theorie des elektromagnetischen Feldes, befreit von mechanischen Analogien. Das elektromagnetische Feld ist alleine durch die Maxwellschen Feldgleichungen definiert, die elektrisches und magnetisches Feld, Strom- und Ladungsdichte miteinander verbinden.
    1887 zeigte Heinrich Hertz im Experiment, daß mit elektromagnetischen Mitteln hergestellte Wellen sich wie Licht verhalten können. Die Ableitung einer Wellengleichung aus den Maxwellschen Gleichungen begründete die Einheit von Elektrodynamik und Optik. Es zeigte sich, daß Licht nichts anderes als elektromagnetische Wellen ist und sich nicht mit beliebiger, sondern endlicher Geschwindigkeit (d.h. der Phasengeschwindigkeit der Wellen) fortpflanzt. Damit war die alte Fernwirkungstheorie Newtons endgültig aus der Elektrodynamik verbannt und das elektromagnetische Feld als eigenständige materielle Erscheinungsform erkannt. {21}
    Der Materiebegriff wird also im 19. Jahrhundert durch neue physikalische Disziplinen erweitert. Anfang des 19. Jahrhunderts hatte die romantische Naturphilosophie von Schelling, Hegel u.a. noch den mechanistischen Atomismus der französischen Aufklärungsphilosophie (z.B. Holbach) kritisiert, indem sie auf Erscheinungen wie Magnetismus, Elektrizität, Wärme, chemische Kohäsionen u.a. verwies. Die Natur wurde als ganzheitlicher und beseelter Organismus verstanden, der nicht mechanisch-atomistisch erklärbar sei. {22} Die Versuche, Elektrizität, Magnetismus, Wärme, Chemie und tierischen Galvanismus aus einer  spekulativen  Metaphysik abzuleiten, stießen jedoch bei vielen mathematisch und experimentell arbeitenden Naturwissenschaftlern auf scharfe Ablehnung. „Geist“ und „Materie“ wurden fortan als Gegensätze empfunden.
    Der Aufschwung einer mathematisch und experimentell arbeitenden Naturwissenschaft, die alle Formen der Materie zu erfassen schien, war verbunden mit der technisch-industriellen Revolution, die im 19. Jahrhunderts die europäische Gesellschaft völlig veränderte. Dampfmaschine und Verbrennungsmotor, Eisenbahn und Automobil, Gaslicht und Elektrifizierung waren Schlüsselinnovationen jenes Jahrhunderts. Materie war nicht länger nur Gegenstand der Naturforschung und philosophischer Reflexion, sondern ein schier unbegrenztes Reservoir von Rohstoffen, die durch wachsende technischnaturwissenschaftliche Kenntnisse ausgebeutet werden konnten.
    Daher forderte der Philosoph und Mediziner Ludwig Büchner (1824–1899) in seinem populären Bestseller Kraft und Stoff (Frankfurt 1855, in 15 Sprachen übersetzt und bis 1904 in Deutschland 21 Auflagen), daß sich die Philosophie an den Naturwissenschaften zu orientieren habe, um eine Konstruktion der Welt nur auf Beobachtungen zu stützen. Kraft und Stoff werden als unzertrennbare Eigenschaften der Materie herausgestellt, die nach Büchner einer ewigen Naturgesetzlichkeit unterliegen. Tatsächlich stand Mitte des 19. Jahrhunderts der „Erhaltungssatz der Kraft“ (im Sinne von Energieerhaltung) im Mittelpunkt wissenschaftlichen Interesses. Untersuchungen über den Stoffwechsel und die Wärmeentwicklung bei der Muskeltätigkeit führten Helmholtz 1847 unabhängig von Mayer zu diesem Grundgesetz (vgl. Kap.V.1). Damit verband Helmholtz das im 19. Jahrhundert unter dem Titel „Energetik“ bekanntgewordene Programm, den Erhaltungssatz der Energie von der Mechanik auf alle physikalischen Gebiete (z.B. Wärmelehre) zu übertragen.
    Im Unterschied zur materialistischen Popularphilosophie versuchte Friedrich Engels (1820–1895) im dialektischen Materialismus, die Natur- und Gesellschaftsgeschichte nach dialektischen Bewegungsgesetzen zu ordnen, die teilweise aus Hegels und Marx dialektischer Methodik entlehnt wurden und sich am Kenntnisstand der damaligen Naturwissenschaften (insbesondere der Darwinschen Evolutionstheorie) orientierten. {23} In der von Lenin dogmatisch verschärften Form wurden folgende materialistische Grundthesen herausgestellt: Die vom Menschen unabhängige Wirklichkeit spiegelt sich im Bewußtsein des Menschen
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