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Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben

Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben

Titel: Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben
Autoren: Klaus Mainzer
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der klassischen Mechanik, wonach alle gleichförmig geradlinig zueinander bewegten Inertialsysteme gleichwertig sind, d.h. die Bewegungsgesetze der klassischen Mechanik gelten unveränderlich (,invariant‘) gegenüber der Klasse aller Inertialsysteme (,Galilei-Invarianz‘). {16}
    Gegenüber der trägen Masse ist die schwere Masse ein Maß für die Eigenschaft eines Körpers, durch Gravitationswirkung einen anderen Körper anzuziehen oder von ihm angezogen zu werden. Das Gewicht eines Körpers ist dann die durch das Newtonsche Gravitationsgesetz gegebene Stärke der Anziehung, die der Fallbeschleunigung z.B. auf der Erde entspricht. Kurz: Das Gewicht eines Körpers ist, wie Johann Bernoulli 1742 bemerkt, Masse mal Beschleunigung des freien Falls. Bereits 1671 wurde der Unterschied von Masse und Gewicht experimentell gezeigt, als auf einer Expedition der französischen Akademie die Gewichte von Körpern in verschiedenen Regionen der Erde gemessen und verglichen wurden. Nach Pendelversuchen von Newton und Friedrich Wilhelm Bessel (1832) prüften Eötvös u.a., ob ein Unterschied zwischen träger und schwerer Masse z.B. mit einer Drehwaage festgestellt werden kann. {17}
    Im nicht-inertialen, gegenüber einem Inertialsystem beschleunigten Bezugssystem treten zusätzliche Kräfte auf (z.B. Zentrifugalkräfte), die in einem Bewegungsgesetz berücksichtigt werden müssen. Formal werden Bewegungsgesetze als Gleichungen für Orts- und Zeitkoordinaten über Bezugssysteme formuliert. Bewegungen und Beschleunigungen von Massen treten darin als (erste und zweite) Ableitungen der Ortskoordinaten nach der Zeit auf. Newtons Suche nach Kräften als Ursachen der Bewegungsänderungen von Massen entspricht dann formal dem Lösen von Differential-und Integralgleichungen. Seit dem 18. Jahrhundert spielen Erhaltungssätze physikalischer Größen bei der Lösung mechanischer Bewegungsgleichungen eine zentrale Rolle.
    Ein Beispiel ist der Erhaltungssatz der Energie als Erscheinungsform der Materie. Wenn z.B. eine Kugel sich in einer bestimmten Höhe in Ruhe befindet, so besitzt sie (im Anschluß an Leibniz) potentielle (‚mögliche‘) Energie. Beim Fallen wird die potentielle Energie immer kleiner und wegen der zunehmenden Geschwindigkeit der Kugel in kinetische (,Bewegungs‘-) Energie umgewandelt. In einem konservativen mechanischen System, in dem z.B. keine Reibungskräfte auftreten, bleibt die Summe aus kinetischer und potentieller Energie unverändert.
    Mechanisch besteht also Materie aus trägen und schweren Massen, zwischen denen Kräfte (z.B. Gravitation) und Energien im leeren Raum ausgetauscht werden. Dieses mechanische Materiemodell wird bereits im 18. Jahrhundert zur Erklärung des Mikrokosmos herangezogen. So besteht Materie nach dem kroatischen Physiker Boskovic (1711–1787) aus identischen Punkten ohne Ausdehnung (,Atomen‘ bzw. ,Monaden‘), die keine weiteren Eigenschaften besitzen außer Trägheit und der Fähigkeit gegenseitiger Wechselwirkung durch Kräfte, deren Qualität vom Abstand abhängt. Die Kraft zwischen zwei Partikeln wird durch eine stetige Funktion des Abstandes beschrieben, die bei sehr kurzen Abständen im atomaren Bereich zu einer unendlichen Repulsion tendiert, bei wachsendem Abstand abwechselnd repulsiv und attraktiv wird und schließlich bei makroskopischen Körpern in ein Attraktionsgesetz nach dem Muster von Newtons Gravitationsgesetz übergeht. Dieser Ansatz wird von Kant in der Materietheorie seiner Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaften (1786) weiterverfolgt. So lehnt Kant die Annahme von Punktsingularitäten wie die ,Monaden‘ à la Boskovic als Träger von Kraftwirkungen ab und definiert Materie als stetiges dynamisches Kraftfeld, dessen Stabilität durch das Gleichgewicht zwischen anziehenden und abstoßenden Kräften garantiert ist.
    Die Wende vom mechanistischen Atomismus zur dynamischen Feldtheorie wird durch physikalische Entwicklungen des 18. und 19. Jahrhunderts begünstigt. {18} So beschreibt bereits Euler seine Hydrodynamik als eine Feldtheorie, wobei die Bewegungsfelder einer Flüssigkeit durch die Geschwindigkeiten der Flüssigkeit in jedem Punkt bestimmt und insgesamt durch partielle Differentialgleichungen beschrieben werden. Die Standardmethoden zur Lösung solcher Gleichungen liefert die Potentialtheorie mit ihren Verfahren zur Berechnung von Feldern und Potentialen. So konnte auch Newtons ominöse Annahme von Fernkräften zwischen Massen im leeren Raum durch
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