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Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben

Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben

Titel: Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben
Autoren: Klaus Mainzer
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späteren Materialisation zu Atomkernen, Atomen und Molekülen aufgrund von Abkühlungsprozessen unterschieden wird.
    Wie formiert sich Materie zu Ordnungszuständen? Darum geht es im 5. Kapitel Materie in der Thermodynamik. Mit der Äquivalenz von Wärme und Arbeit und dem 1. Hauptsatz von der Erhaltung der Energie wurden die Grundlagen der Thermodynamik bereits im 19. Jahrhundert gelegt. Nach dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik verteilt sich Wärme in einem isolierten System immer so, daß eine bestimmte Zustandsgröße (,Entropie‘) niemals abnimmt, sondern zunimmt oder konstant bleibt. Die Entropie wird als Maß der Unordnung im System interpretiert. Die Entstehung von Ordnung in der Materie ist keineswegs unwahrscheinlich und zufällig, sondern findet unter bestimmten Bedingungen gesetzmäßig statt. Man spricht von konservativer Selbstorganisation der Materie bei abgeschlossenen Systemen im thermischen Gleichgewicht, während bei offenen Systemen, die in Stoff-, Energie- und Informationsaustausch mit ihrer Umgebung stehen, Ordnung fern des thermischen Gleichgewichts durch dissipative Selbstorganisation entsteht.
    Im 6. Kapitel Materie in der Chemie wird zunächst historisch gezeigt, wie aus frühen technischen Verfahren, Erfahrungsregeln und alchimistischen Vorstellungen im Umgang mit Stoffen die Chemie als neuzeitliche Naturwissenschaft entsteht. Atomismus und molekulare Modelle der Materie führen im 19. Jahrhundert zum Periodensystem der Elemente. In der Quantenchemie stellt sich die Frage, ob und unter welchen Bedingungen der molekulare Aufbau der Materie auf Prinzipien der Quantenmechanik und damit der Physik zurückgeführt werden kann. Mit zunehmender molekularer Komplexität werden auch in der Chemie konservative und dissipative Selbstorganisationsprozesse nachgewiesen, durch die Ordnungsstrukturen z.B. in Kristallen, Gemischen oder Stoffen entstehen.
    Im 7. Kapitel Materie und Leben geht es um die Frage, wie die Entstehung von Lebensformen nach konservativer und dissipativer Selbstorganisation der Materie durch gen-gesteuerte Selbstreplikation und Zelldifferenzierung erklärt werden kann. Damit werden zwar die Grenzen zwischen belebter und unbelebter Materie relativiert. Allerdings sind bisher nur einige notwendige Kriterien für Leben wie z.B. Metabolismus, Selbstreproduktion und Mutation erfaßt, so daß von einer vollständigen Reduktion der Lebensvorgänge auf physikalische und chemische Prinzipien nicht die Rede sein kann. Abschließend wird auf die Emergenz von Bewußtsein in materiellen Systemen wie z.B. das menschliche Gehirn eingegangen.
    Von unserem jeweiligen Wissen über die Materie hängen unsere technischen, ökonomischen und ökologischen Lebensbedingungen entscheidend ab. Davon soll im letzten Kapitel Materie in Technik, Umwelt und Gesellschaft die Rede sein. In dem Zusammenhang wurde Materie traditionell nur als Rohstoff verstanden, der für die technisch-industrielle Nutzung abzubauen sei. Im Zeitalter zunehmender Rohstoffverknappung, des Bevölkerungswachstums und der Umweltschäden durch die Industriegesellschaft erweist sich dieser einseitige Umgang mit Materie am Ende des 20. Jahrhunderts als Sackgasse. Zielvorstellung ist vielmehr eine Gesellschaft, die ihre Materialflüsse mit der Umwelt so regulieren kann, daß sie ihren empfindlichen Gleichgewichten Rechnung trägt, um nicht ins Chaos abzustürzen.

 
     
I. Materie im antiken und mittelalterlichen Weltbild
     
     
    In der frühen Kultur-, Wissenschafts-und Technikgeschichte wurden unterschiedliche Kriterien und Meßverfahren für z.B. Größe, Gestalt, Widerstand und Schwere von Stoffen benutzt. Die Materiebegriffe unserer technisch-wissenschaftlichen Le-benswelt sind selbst Konstrukte und Resultate dieser Entwicklung.
     
     
1. Von der Urmaterie zu den Vorsokratikern
     
    Die Anfänge menschlicher Erfahrung mit Stoffen verlieren sich in der Evolutionsgeschichte der Menschheit. Seit ca. 3000 Jahren v. Chr. verwandeln sich einige Bauernkulturen des Nahen Orients in Stadtkulturen, also Hochkulturen mit ältesten schriftlichen Urkunden über die Beschreibung und Nutzung von Stoffen. Das Anwachsen des Handels und der steigende Güteraustausch erfordern verläßliche Verfahren, um auch größere Mengen von Gütern wie Getreide und Metalle bestimmen und vergleichen zu können. In ägyptischer Tradition erhält die Waage sogar religiöse Bedeutung und wird als Symbol der Gerechtigkeit herausgestellt. Volumen und Gewicht gelten
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