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Beautiful Losers

Beautiful Losers

Titel: Beautiful Losers
Autoren: Leonard Cohen
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ist diese Entscheidung – Heiliger oder Missionar, weiß oder schwarz – seine erste tragische Prüfung? Uns ist das egal, dir und Edith und mir, wir haben unbehelligt ein halbes Alphabet von Sitzreihen hinter uns gelassen und werden blendend unterhalten. Wir befinden uns nun im Herzen des letzten Films, der an diesem Abend im System läuft. Innerhalb eng gesetzter Grenzen wand und kringelte sich der staubige Projektorstrahl über unseren Haaren, wie Rauch im Kamin. Das wacklige Lichtbündel befand sich in seiner schwarzen Begrenzung in ständiger Unruhe, wie Kristalle, die in einem aufgehängten Reagenzglas toben. Die einzelnen Bilder treffen auf die Leinwand wie Bataillone von Fallschirmspringern, Sabotageopfern, die mit den verschiedensten Verrenkungen vom Trainingsturm stürzen, sie spritzen beim Aufprall in kontrastreichen Farben auseinander, wie die aufgeplatzten Kokons arktischer Tarnanzüge, die ihren farbigen, organischen Inhalt über den Schnee ergießen, wenn die Springer einer nach dem anderen auseinanderstieben. Nein, eigentlich sah der Strahl eher aus wie eine in ein gigantisches Teleskop gesperrte, gespenstisch weiße Schlange, eine Giftschlange, die ohne Eile nach Hause schwamm und dabei die gesamten Abwasserleitungen des Kinos in Anspruch nahm, das gesamte System, mit dem der Saal bewässert wurde. Es war die erste Schlange im Schatten des Urgartens, die Albinoschlange unter dem Apfelbaum, die unserem ersten weiblichen Gedächtnis eine Kostprobe darbrachte – und zwar von allem! Während sie sich dort oben in der Finsternis wand, sah ich immer wieder auf, ich suchte den Sinn im Projektorstrahl, nicht in der Handlung, die ihn durchströmte. Ihr habt das beide nicht bemerkt. Hin und wieder leitete ich überraschende Rückzüge auf meiner Armlehne ein, um dich von deinem Vergnügen abzulenken. Ich beobachtete die Schlange, sie stachelte meine Gier an. Inmitten dieser verwegenen Betrachtung spüre ich, dass ich die Frage formulieren muss, die mich länger quälen wird als jede andere. Sobald ich sie formuliert habe, beginnt sie, mich zu quälen: Was wird geschehen, wenn der Nachrichtenfilm in den Hauptfilm entflieht? Was wird geschehen, wenn die Nachrichten ganz, wie sie wollen, vielleicht auch völlig willkürlich, in den Bildern des Vistavision-Films auftauchen? Die Nachrichten sind das, was unverrückbar zwischen Straße und Hauptfilm liegt, dem Boulder-Staudamm gleich, der entscheidend ist wie eine Grenze im Mittleren Osten – wenn man ihn zum Einsturz brächte (stellte ich mir vor), entsteht ein wucherndes Gemisch, das sich allein durch die Kraft der vollständigen Korrosion allem, was existiert, bemächtigen wird. So stellte ich mir das vor! Die Nachrichten bilden die Grenze zwischen Bürgersteig und Hauptfilm: Sie enden plötzlich, wie ein Tunnel beim Sonntagsausflug, und fügen, wenn die Finsternis unheimlich hereingebrochen ist, ländliche Hügellandschaften und Slums zusammen. Es gehörte eine Menge Mut dazu! Ich ließ die Nachrichten laufen, ich forderte sie auf, die Filmhandlung zu betreten, es war unglaublich, mit welch schöpferischer Kraft sie sich einpassten, nur vergleichbar mit Bäumen und Plastikschildern, die an den neuen, prächtigen Landschaften der Highway-Motels eine gelungene Synthese eingehen. Lang leben die Motels, ihr Name, ihr Zweck, ihr Erfolg! Mein alter Herzgeliebter, hier ist das Schild, das ich aufstellen würde. Hier ist das Schild, das ich gesehen habe. Hier ist das, was ich kürzlich gelesen habe:
    SOPHIA LOREN STRIPPT FÜR EIN OPFER
DER FLUTKATASTROPHE
    DIE FLUT IST AM ENDE WIRKLICHKEIT GEWORDEN
    Freude? Habe ich dir nicht Freude versprochen? Hast du bezweifelt, dass ich liefern würde? Ich könnte dich jetzt eigentlich allein lassen, aber es fällt mir so schwer. Mary wird langsam unruhig, sie rutscht ungeduldig hin und her, es macht uns beiden längst keinen Spaß mehr, ihre Flüssigkeiten sind teils so uralt, ihr Wasserstand ist derart niedrig, dass ich an meinem Unterarm, auf den Pfaden der Verdunstung, ein leichtes Zwicken spüre. Bevor die Schwester die halbfertigen Körbe in der B. T. einsammelt, schreiben die Patienten ihre Namen darauf. So können sie später wieder zugeordnet werden. Der kurze Frühlingsnachmittag ist dunkler geworden, die festen Fliederknospen hinter dem vergitterten Fenster verströmen kaum einen Duft. Die Wäsche vom Nachmittag ist längst sterilisiert, die steifen, frisch gemachten Betten erwarten uns.
    – Bau, wau, wau! Bau, wau!
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