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Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)

Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)

Titel: Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)
Autoren: Paul Walz
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über die spröden Lippen. »Mein Vierundzwanzigstundendienst war um sechs Uhr vorbei und da kommt so ein Scheiß. Jetzt sitze ich seit einer Stunde hier rum und warte darauf, dass ich weg kann. Der muss ohnehin in die Rechtsmedizin, sollen die sich doch müde machen. Ich bin es nämlich schon.«
    »Ich halte mich kurz«, wollte Lichthaus beschwichtigen, aber die Frau, deren große blaue Augen erschöpft dreinschauten, achtete nicht auf ihn.
    »Sie haben den Totenschein, was wollen Sie denn noch.«
    »Antworten«, sein Ton war schneidend. »Antworten, um weiterzukommen. Ich brauche Genaueres und will nicht ein paar Tage den Bericht der Rechtsmedizin abwarten.«
    Wütend sprang die Ärztin aus dem Rettungswagen und baute sich vor ihm auf, wobei ihm auffiel, dass sie sehr groß war. »Verblutet vermutlich, aber das ist Ihnen sicherlich auch schon aufgefallen, oder?«
    Lichthaus lächelte plötzlich. »Ja. Wollen Sie einen Tee?«
    »Bitte? Also, ich möchte keinen Tee. Ich ...«
    »Darjeeling Second Flush. Heiß und mit Honig gesüßt. Ich glaube, Sie könnten einen gebrauchen.«
    Ein Zögern noch, dann entspannte sich ihr Gesicht und die Andeutung eines Lächelns huschte darüber wie eine schnell ziehende Wolke. »Sie geben nicht nach, oder?«
    Langsam schüttelte er den Kopf, woraufhin sie sich einen viel zu großen Feuerwehrparka überwarf und Lichthaus steifbeinig zum Wagen begleitete. Wortlos reichte er ihr einen Becher und goss ihr aus seiner Thermoskanne ein. Nach dem ersten Schluck streckte sie die Glieder und begann, ohne auf seine Fragen zu warten: »Der Mann war fünf bis zwölf Stunden tot, als ich ihn mir angeschaut habe. Genaueres sollen Ihre Spezialisten herausfinden. Der Tod war wohl eine Erlösung. Was ich auf die Schnelle sagen kann, ist schon bitter genug. Betäubt wurde er durch einen Elektroschocker oder wie man die Dinger heute nennt. Am Hals hat er zwei ausgeprägte Male. Ich habe das ab und an mal gesehen. Der Angegriffene klappt zusammen und ist annähernd unbeweglich, bei eingetrübtem Bewusstsein.« Vorsichtig trank sie von dem dampfenden Tee.
    »Durch das Aufhängen wurde die Schulter ausgerenkt. Extrem schmerzhaft, da das Körpergewicht und der Klotz, den man ihm an die Füße gebunden hat, stark nach unten gezogen haben. Ich vermute, dass Sehnen abgerissen sind und Gefäße verletzt wurden. Dann wurde er mit einem stumpfen Gegenstand geprügelt. Ich tippe auf einen Gummiknüppel oder etwas in der Art«, sie nahm einen weiteren Schluck. »Mit den Augen stimmt auch was nicht, aber da müssen Ihre Leute ran. Der Tod ist eingetreten, nachdem die Schlagader in der rechten Leiste geöffnet worden ist. Das Verbluten dauert ein paar Minuten. Ob der Tote noch bei Bewusstsein war, kann ich nicht sagen.« Sie sah ihn an. »Da war einer ziemlich sauer auf den Mann.«
    Lichthaus schaute von seinen Notizen auf. »Wieso betonen Sie das so? Das liegt doch auf der Hand.«
    »Auf den ersten Blick sieht man nicht, dass sich die Schläge überlagern. Das Opfer ist lange und intensiv geprügelt worden und hat vor Schmerz fast das Klebeband eingeatmet.«
    Er nickte. »Dankeschön, das war es schon. Sie haben mir sehr weitergeholfen.«
    Müde sah sie ihn an und blinzelte gegen die Sonne. »Ich danke für den Tee. Können wir jetzt los?«
    »Klar. Schlafen Sie sich aus.«
    Sie lächelte matt und ging. Er schaute ihr nach, bis sie den Rettungswagen erreicht hatte. Eine erschöpfte Gestalt. Wenig später fuhren sie vom Hof. Ein krächzender Ruf von oben lenkte ihn ab und füllte die kurze Stille, automatisch legte er den Kopf weit in den Nacken. In V-Form zog ein Schwarm Kraniche über den stahlblauen Himmel.
    Es wird Frühling. Doch er freute sich nicht. Der Fall zeigte verstörende Züge, die ihm das Unbehagen in den Magen trieben.

    *

    Roland Görgen wirkte kühl, als er Lichthaus gegenüber Platz nahm und ihn eingehend musterte. Er ließ sich nicht im Geringsten anmerken, ob der Mord einen Schock in ihm ausgelöst haben könnte. Vater und Sohn glichen sich äußerlich. Er hatte die wuchtige Gestalt und das schwere Kinn geerbt, und auch die Tränensäcke, die wulstig unter den Augen hingen, erinnerten an den Alten. Die Haare jedoch waren dicht und struppig. Görgen trug Arbeitskleidung aus blauer Baumwolle, die noch sauber war. Sein Blick war düster, der Mund zusammengepresst, doch Lichthaus drehte gelassen ein Foto des Toten zwischen den Fingern und wartete, hielt dem Blick des anderen stand, bis dieser
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