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Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck
Autoren: Hakan Nesser
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hatte –, aber manchmal auch eine von zwei jüngeren Frauen, die eine dunkel, eine leicht verlockende, scheue Schönheit, die andere rötlich und ein wenig übergewichtig. Keine von ihnen sprach mich an, sie nickten mir nur in einer Art ungeschriebenem Einverständnis zu, und auch mit Frau Moewenroedhe wechselte ich nur wenige Worte, aber ab dem dritten Tag bekam ich gegen halb fünf immer eine Tasse Tee und ein paar Kekse. Offensichtlich war das der Zeitpunkt, an dem sie sich selbst auch eine kleine Pause gönnten.
    Besonders während dieser ersten Wochen hatte ich immerhin eine gewisse Kontrolle über die Stunden des Tages, das wird mir klar, wenn ich zurückschaue. Und das war ja irgendwie auch notwendig. Als ich das Programm der beiden Konzertsäle durchgegangen war, hatte ich mir ein Schema aufgestellt, nach dem ich vier bis fünf Veranstaltungen in der Woche besuchen wollte, was wiederum bedeutete, dass ich rechtzeitig in der Bibliothek aufbrechen musste, um noch essen zu können, bevor es Zeit für das Concertgebouw oder die Nieuwe Halle war.
    Bald wurde mir klar, dass mein Konto es kaum zulassen würde, dass ich mehrmals in der Woche zu teuren Konzerten hastete, und so ging ich stattdessen dazu über, mich im Foyer aufzuhalten und zu verfolgen, wie die Zuschauer eintrafen. Manchmal überwachte ich stattdessen den Strom hinaus, aber welche Methode ich auch anwandte, ich sah während dieser kalten Januarabende nicht den Schimmer von Ewa, und auch wenn ich nicht direkt verzweifelte, so war ich mir doch bewusst, dass ich mir etwas Besseres einfallen lassen musste.
    Ansonsten verbrachte ich die Abendstunden gern in den Cafés, besonders in einigen ziemlich schillernden, die auf meinem üblichen Heimweg lagen – Mart’s beziehungsweise Dusart. Dort saß ich in einer Ecke und kam ab und zu ins Gespräch mit Menschen, vor allem mit älteren, etwas heruntergekommenen Herren, die den größten Teil ihres Lebens hinter sich gebracht und einen Grad an Illusionslosigkeit erreicht hatten, den ich befreiend fand und gern geteilt hätte. Auch auf Frauen stieß ich an diesen Abenden, aber auch wenn es sicher die eine oder andere unter ihnen gab, die nichts dagegen gehabt hätte, mit mir die Nacht zu verbringen, so kam es doch nie dazu, dass ich die Initiative in dieser Richtung ergriff. Wie dem auch sei, nur im Ausnahmefall kam ich vor ein Uhr ins Bett.
    Auch wenn meine Gedanken in diesem ersten Monat natürlich häufig um Ewa kreisten und darum, was es wohl bedeuten könnte, dass sie während dieser Beethovenaufnahme hier in A. vor einem halben Jahr im Publikum gesessen hatte (ich hatte nachgeprüft, dass es wirklich im Concertgebouw stattgefunden hatte), so war es doch die Arbeit an Reins Text, die meine Konzentration immer mehr in Anspruch nahm.
    Er war schwer und zäh, die ersten Seiten waren keine Ausnahme gewesen, aber dennoch gab es da etwas, was bald eine Art Verlockung auf mich ausübte. Etwas Verborgenes fast. Als enthielte das Manuskript eine Botschaft oder einen Subtext, den zu verstecken er sich alle Mühe der Welt gegeben hatte. Ich wusste nicht so recht, was, ahnte aber früh, dass es da etwas geben musste. Der Text war dicht und voller Gestrüpp, manchmal geradezu unbegreiflich, aber das Gefühl, dass unter dem Ganzen etwas lag, was einfach, rein und klar war, wurde immer unbestreitbarer, je weiter ich kam.
    Es war auch nicht besonders umfangreich, das Manuskript. Nur gut hundertsechzig Seiten, und wenn es mir gelingen sollte, den Rhythmus von fünfzehn Seiten die Woche beizubehalten, so würde ich mit anderen Worten irgendwann um den Monatswechsel März – April damit durch sein. Mit einem ersten Entwurf jedenfalls. Dann brauchte es natürlich noch seine Zeit für die Feinarbeit und die Korrekturen, doch es war sicher, dass ich wie abgemacht im Juni fertig sein würde.
    Aber dieser Subtext nahm mich anfangs gefangen. Verwirrte mich und ärgerte mich. Keines von Reins früheren Werken hatte diesen Grad der Komplikation erreicht, und gleichzeitig waren da natürlich noch die sonderbaren Umstände und Restriktionen betreffs der Herausgabe selbst. Einen Grund musste es schließlich dafür geben, dass er unbedingt wollte, dass das Buch in der Übersetzung statt in seiner eigenen Muttersprache herauskam; Kerr und Amundsen hatten in den Archiven geforscht, aber nichts Vergleichbares gefunden – natürlich einige hinausgeschmuggelte Texte aus diversen Diktaturen, Solschenizyn und andere, aber nichts in
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