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Bardo - Rueckfahrkarte Leben Tod

Titel: Bardo - Rueckfahrkarte Leben Tod
Autoren: Bruno Portier
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möchtest du einen Fensterplatz?«
    »Ja, gerne.«
    Zärtlich wiegt Anne ihre Tochter, die durch die allgemeine Unruhe und Anspannung betrübt dreinschaut.
    »Sei nicht traurig, mein Liebling. Auch für mich ist es schwer, weißt du. Aber ich kann dich dorthin nicht mitnehmen. Du bist noch zu klein …«
    Lucie starrt sie schielend an, ihr Gesicht an Annes gedrückt.
    »... außerdem kommen wir schon bald wieder zurück. Drei Wochen, das ist nicht sehr lang, weißt du. Du wirst sehen, Oma und Opa werden sich gut um dich kümmern. Ihr werdet zusammen wahnsinnig viel Spaß haben …«
    Anne drückt ihre Tochter an sich, küsst sie noch einmal und flüstert ihr ins Ohr:
    »Ich werde dir ein schönes Geschenk mitbringen.«

    Das Mädchen klammert sich an den Hals seiner Mutter. Rose nähert sich den beiden und streichelt zärtlich Lucies Rücken.
    »Mach dir keine Sorgen, Anne. Es wird alles gutgehen.«
    Anne lächelt ihr mit trauriger Miene zu.
    »Ich weiß. Danke. Sofort nach unserer Ankunft ruf ich dich an.«

    Vier Uhr morgens. Flughafen Kalkutta. Im fahlen Schein der Natriumdampflampen fährt ein roter klappriger Bus mit geöffneten Fenstern über die Piste. Im Innern sitzen und stehen die Passagiere dicht aneinandergedrängt. Hin und her gerüttelt, benommen von der Reise, schwitzen sie. Die Nacht ist noch schwarz und schon feucht.
    Im hinteren Teil, eingezwängt zwischen einer indischen Familie und einer kanadischen Rentnergruppe, befinden sich Anne und Evan. Verdutzt schauen sie durch die Seitenfenster. Anne holt tief Luft. Sie versucht einen quälenden Brechreiz loszuwerden, hervorgerufen durch den herben Geruch, der den grau melierten Haaren direkt vor ihrer Nase entströmt.
    Der Bus kommt zum Stehen, die Türen öffnen sich. Endlich freigelassen, strömt die Horde schubsend nach draußen und stürzt in eine hell erleuchtete Halle, um nach der Gepäckausgabe zu suchen. Mit einigem Abstand stoßen Anne und Evan zu der Menge, die sich um das leere Gepäckband zusammengedrängt hat. Anne holt ihr Mobiltelefon aus der Handtasche und schaltet es
ein. Das Telefon gibt einige Geräusche von sich und geht dann aus.
    »Verflixt. Meine Batterie ist leer. Wartest du hier auf mich? Ich werde Mama anrufen, um ihr zu sagen, dass wir gut angekommen sind.«
    »Okay.«
    Anne verschwindet, während Evan sich durch das Gewirr der Passagiere und vorbei an klapprigen Kofferkulis einen Weg bahnt.
    Sie kommt in einen großen Saal mit blassblauen Wänden. Auf dem Marmorboden liegen schlafende Menschen. Die Neonröhren blinken unregelmäßig auf. Ein Wackelkontakt. Von einigen Schnarchern abgesehen, herrscht völlige Stille. Mit einem unbehaglichen Gefühl durchquert Anne die Halle im Zickzack zwischen den Schlafenden und trifft auf eine Reihe hölzerner Telefonkabinen entlang der Wand, die zu den Toiletten führt. Nur in der letzten Kabine befindet sich ein altes Telefon mit Wählscheibe. Anne tritt ein und nimmt den Hörer ab. Kein Ton in der Leitung. Sie legt auf und schaut sich um. Einige Meter weiter erspäht sie eine winzige, kaum sichtbare Öffnung in der Wand: eine Art Telefonierstube. Das Innere ist beleuchtet. Auf dem leeren Arbeitstisch hinter dem Tresen brennt eine Zigarette im Aschenbecher herunter, aber der Raucher ist nicht da. Anne dreht sich um und lässt den Blick schweifen.
Alle schlafen, auf nacktem Boden in Stoffe gehüllt, zwischen Leinentaschen eingezwängt, auf Plastiksitzen ausgestreckt. Plötzlich hallt im Saal das Geräusch einer zugeschlagenen Tür wider. Anne zuckt zusammen. Ein junger energischer Inder verlässt die Toilette und schließt seinen Hosenschlitz. Anne eilt ihm entgegen.
    »Hallo?!«
    Verlegen und hastig steckt der Inder seinen Hemdzipfel in die Hose zurück und geht auf sie zu.
    »Ja, Madam.«
    »Entschuldigen Sie. Ich suche den Verantwortlichen für diese Telefonierstube.«
    Anne deutet auf die Öffnung in der Wand. Der Inder kratzt sich am Hals.
    »Das bin ich.«
    Er schiebt den Knoten seiner Krawatte nach oben und geht würdevollen Schrittes zu seinem Arbeitsplatz. Anne folgt ihm. Er setzt sich auf seinen Stuhl hinter dem Tisch und greift nach der angezündeten Zigarette.
    »Sie wollen telefonieren, Madam?«
    Anne nickt amüsiert.
    »Äh... ja, ja.«
    »Ein Auslandsgespräch?«
    »Ja, danke.«
    »Hier ist das Telefon. Sie können Ihre Nummer eingeben.«

    Aus einer Schublade holt er ein hypermodernes Gerät hervor und stellt es auf den Tresen. Anne nimmt es, tippt die Nummer auf der
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