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Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels

Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels

Titel: Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Ihnen kam?«
    Unbehaglich rutschte Luisito auf seinem Stuhl hin und her, die Wendung des Gesprächs passte ihm offensichtlich nicht.
    »Sehen Sie, das ist nahezu ein Beichtstuhl. Die Vertraulichkeit hat Vorrang vor allem anderen.«
    »Das ist mir bewusst. Es geht aber um etwas Wichtiges.«
    »Wie wichtig?«
    »Wichtig genug, um das Wohlbefinden von Leuten zu gefährden, die mir sehr viel bedeuten.«
    »Ja schon, aber …«
    Er reckte den Hals und suchte den Blick von Meister Oswaldo auf der anderen Seite des Patio. Ich sah Oswaldo nicken, und Luisito entspannte sich.
    »Der Herr ist mit einem Brief gekommen, den er verfasst hatte und der in Schönschrift ins Reine gebracht werden sollte – mit seiner Hand ist ja …«
    »Und im Brief war die Rede von …«
    »Daran kann ich mich kaum noch erinnern, vergessen Sie nicht, dass wir hier täglich viele Briefe schreiben …«
    »Strengen Sie sich ein wenig an, Luisito. Wegen Cervantes.«
    »Ich glaube, und auf die Gefahr hin, ihn mit dem Brief eines anderen Kunden zu verwechseln, dass es irgendwie um eine große Geldsumme ging, die der einhändige Herr bekommen oder wiederbekommen sollte oder so was. Und irgendwas von einem Schlüssel.«
    »Einem Schlüssel.«
    »Genau. Er hat nicht im Einzelnen erklärt, ob es um einen Schrauben-, einen Noten- oder einen Hausschlüssel ging.«
    Er lächelte mir zu, sichtlich zufrieden, zum Gespräch eine Prise Witz beigesteuert zu haben.
    »Erinnern Sie sich an sonst noch was?«
    Nachdenklich leckte er sich die Lippen.
    »Er sagte, die Stadt habe sich sehr verändert.«
    »In welchem Sinn verändert?«
    »Ich weiß nicht. Verändert. Ohne Tote auf der Straße.«
    »Tote auf der Straße? Das hat er gesagt?«
    »Wenn mich die Erinnerung nicht trügt …«

7

    Ich bedankte mich bei Luisito für die Information und brachte eilig das letzte Stück Weges zum Laden hinter mich, um mit etwas Glück vor meinem Vater da zu sein. Das »Geschlossen«-Schild hing noch an der Tür. Ich schloss auf, nahm das Schild ab und stellte mich wieder hinter den Ladentisch; sicher war in der letzten knappen Dreiviertelstunde meiner Abwesenheit kein einziger Kunde gekommen.
    Da ich nichts zu tun hatte, begann ich darüber nachzudenken, was ich mit dem Band des Grafen von Monte Christo tun und wie ich das Thema gegenüber Fermín anschneiden sollte, wenn er käme. Ich mochte ihn nicht über Gebühr beunruhigen, doch der Besuch des Unbekannten und mein fruchtloser Versuch, dessen Absichten zu ergründen, ließen mir keine Ruhe. In jedem anderen Fall hätte ich ihm ohne weiteres erzählt, was geschehen war, aber diesmal hielt ich Fingerspitzengefühl für angezeigt. Seit einiger Zeit war Fermín sehr niedergeschlagen und hatte eine Stinklaune. Und seit einiger Zeit versuchte ich, ihn mit meinen müden Witzchen aufzumuntern, aber nichts vermochte ihm ein Lächeln zu entlocken.
    »Fermín, entstauben Sie die Bücher nicht allzu sehr, sonst bleibt in den wenigen einschlägigen Exemplaren, die man uns liefert, bald nichts mehr vom schwarzen Humor übrig.«
    Fermín war weit davon entfernt, solch armselige Scherze mitleidig zu belächeln, sondern nutzte jeden beliebigen Anlass für seine Mutlosigkeits- und Überdrussapologien.
    »In Zukunft wird der Humor überhaupt nur noch schwarz sein, denn für das dominierende Aroma in der zweiten Hälfte dieses blutrünstigen Jahrhunderts sind Falschheit und Seelenschwärze noch Euphemismen«, philosophierte er.
    Es geht schon wieder los, dachte ich. Die Offenbarung des heiligen Fermín Romero de Torres.
    »So schlimm wird es wohl nicht sein, Fermín. Sie sollten mehr an die Sonne gehen. Neulich hat in der Zeitung gestanden, dass Vitamin D den Glauben an den Nächsten stärkt.«
    »Es hat dort auch gestanden, dass irgendein Gedichtschmöker eines Franco-Schützlings die Sensation des internationalen Literaturpanoramas ist, wo er doch in keiner Buchhandlung außerhalb Madrids verkauft wird«, antwortete er.
    Wenn sich Fermín mit allen Organen dem Pessimismus hingab, warf man ihm besser keinen Köder hin.
    »Wissen Sie, Daniel, manchmal denke ich, Darwin hat sich geirrt, und in Wirklichkeit stammt der Mensch vom Schwein oder vom Hund ab, denn in acht von zehn Hominiden steckt ein Schweinehund, der darauf wartet, rausgelassen zu werden.«
    »Fermín, Sie gefallen mir besser, wenn Sie eine humanistischere, positivere Sicht der Dinge zum Ausdruck bringen, wie letzthin, als Sie sagten, es sei keiner wirklich schlecht, er habe
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