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Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels

Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels

Titel: Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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einer Anwandlung von Einsicht lehnte der Unbekannte die Einladung ab.
    »Ein andermal, Süße«, antwortete er und bog ins Raval ein.
    Ich folgte ihm etwa hundert Meter weiter, bis er vor einem dunklen schmalen Hauseingang fast gegenüber der Pension Europa stehen blieb. Nachdem er darin verschwunden war, wartete ich eine halbe Minute und ging ihm dann nach.
    Drinnen erwartete mich ein düsteres Treppenhaus, das sich im Innern des Gebäudes verlor; dieses schien nach Backbord zu krängen und, seiner stinkend feuchten Luft und seinem Abwasserproblem nach zu schließen, drauf und dran zu sein, in den Katakomben des Ravals unterzugehen. Auf einer Seite des Vestibüls saß in einer Art Pförtnerloge ein schmieriger Mensch im Unterhemd. Zwischen den Lippen hatte er einen Zahnstocher und neben sich einen Transistor, aus dem ein Stierkampfprogramm quoll. Er warf mir einen forschenden Blick zu.
    »Kommen Sie allein?«, fragte er fast feindselig.
    Man musste kein Luchs sein, um zu merken, dass man sich im Entree eines Stundenhotels befand und dass die einzige Dissonanz meines Besuchs in der Abwesenheit einer der Damen bestand, wie sie an der Ecke patrouillierten.
    »Wenn Sie wollen, schick ich Ihnen ein Mädchen«, erbot er sich und bereitete schon das Bündel aus Tuch, Seife und etwas Gummiähnlichem oder sonst einem Verhütungsmittel vor.
    »Eigentlich wollte ich bloß etwas fragen«, setzte ich an.
    Der Portier verdrehte die Augen.
    »Macht zwanzig Peseten die halbe Stunde, und die Braut bringen Sie mit.«
    »Sehr verlockend. Vielleicht ein andermal. Was ich Sie fragen wollte, ist, ob vor zwei Minuten ein Herr hinaufgegangen ist. Schon älter. Nicht besonders gut in Form. Er ist allein gekommen, ohne Braut.«
    Der Portier zog die Brauen zusammen. In einem einzigen Augenblick degradierte mich sein Blick vom Kunden zur lästigen Fliege.
    »Ich hab niemand gesehen. Und jetzt verduften Sie, bevor ich den Tonet hole.«
    Vermutlich war der Tonet kein sehr umgänglicher Mensch. Ich legte die mir verbleibenden Münzen auf den Tisch und lächelte dem Portier versöhnlich zu. Das Geld verschwand in seinen gummihütchenbesetzten Fingern so schnell wie ein Insekt auf der Zunge eines Chamäleons.
    »Was wollen Sie wissen?«
    »Wohnt hier der Herr, von dem ich Ihnen sprach?«
    »Er hat seit einer Woche ein Zimmer gemietet.«
    »Wissen Sie, wie er heißt?«
    »Er hat einen Monat zum Voraus bezahlt, also hab ich ihn nicht gefragt.«
    »Wissen Sie, woher er kommt, was er macht?«
    »Ich bin kein Briefkastenonkel. Wer zum Bumsen herkommt, den fragen wir nichts. Und der bumst nicht mal. Machen Sie sich Ihren Reim darauf.«
    Ich dachte nach.
    »Alles, was ich weiß, ist, dass er ab und zu für eine Weile rausgeht und dann wiederkommt. Manchmal lässt er sich eine Flasche Wein, Brot und etwas Honig raufbringen. Er zahlt gut und sagt keinen Piep.«
    »Und Sie erinnern sich wirklich an keinen Namen?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Gut. Danke, und entschuldigen Sie die Störung.«
    Ich wollte eben gehen, als er mir zurief:
    »Romero.«
    »Wie bitte?«
    »Ich glaube, er sagte, er heißt Romero oder so ähnlich …«
    »Romero de Torres?«
    »Genau.«
    »Fermín Romero de Torres?«, wiederholte ich ungläubig.
    »So ist es. Hat es vorm Krieg nicht einen Torero gegeben, der so hieß?«, fragte er. »Ich sag ja, dass mir das gleich irgendwie bekannt vorkam …«

6

    Auf dem Rückweg zur Buchhandlung war ich noch verwirrter als zuvor. Als ich am Virreina-Palast vorbeikam, winkte mir der Schreiber Oswaldo zu.
    »Erfolg gehabt?«, fragte er.
    Leise verneinte ich.
    »Versuchen Sie’s doch bei Luisito, vielleicht erinnert der sich an etwas.«
    Ich nickte und ging zum Häuschen von Luisito, der gerade seine Federnsammlung reinigte. Er lächelte mir zu und lud mich ein, Platz zu nehmen.
    »Was darf’s denn sein? Liebe oder Arbeit?«
    »Ihr Kollege Oswaldo schickt mich.«
    »Unser aller Meister«, sagte Luisito, der noch keine fünfundzwanzig sein konnte. »Ein großer Homme de Lettres, dessen Meriten die Welt nicht erkannt hat, und da sitzt er nun, auf der Straße, wo er im Dienste des Analphabeten am Wort wirkt.«
    »Oswaldo hat mir erzählt, Sie hätten neulich einen älteren Herrn bedient, hinkend und ziemlich verwahrlost, dem eine Hand fehlt und an der anderen einige Finger …«
    »Ich erinnere mich an ihn. An die Einhänder erinnere ich mich immer. Wegen Cervantes, wissen Sie.«
    »Natürlich. Und können Sie mir sagen, aus welchem Grund er zu
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