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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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starrte mich an, als sähe sie ein Gespenst.
    »Dieser Mann hat doch gesagt, Sie seien abgehauen … Auf Nimmerwiedersehen.«
    Vermutlich hatte ihr Grandes einen Besuch abgestattet.
    »Sie sollen wissen, dass ich ihm kein Wort geglaubt habe«, fuhr sie fort. »Ich hole gleich …«
    »Ich habe nicht viel Zeit, Isabella.«
    Niedergeschlagen schaute sie mich an.
    »Sie gehen, nicht wahr?«
    Ich nickte. Isabella schluckte schwer.
    »Ich hab Ihnen ja gesagt, dass ich Abschiede nicht mag.«
    »Ich noch weniger. Ich bin auch nicht gekommen, um mich zu verabschieden. Ich bin gekommen, um einige Dinge zurückzubringen, die mir nicht gehören.«
    Ich zog Die Schritte des Himmels aus der Tasche und reichte ihr das Buch.
    »Das hätte die Vitrine mit Señor Semperes persönlicher Sammlung nie verlassen dürfen.«
    Als Isabella die noch im Deckel steckende Kugel erblickte, schaute sie mich wortlos an. Da zog ich den weißen Umschlag mit den fünfzehntausend Peseten hervor, mit denen der alte Vidal meinen Tod zu kaufen versucht hatte, und legte ihn auf den Ladentisch.
    »Und das ist für all die Bücher, die mir Sempere im Lauf der Jahre geschenkt hat.«
    Isabella machte ihn auf und zählte verdutzt das Geld.
    »Ich weiß nicht, ob ich das annehmen kann …«
    »Betrachte es als mein vorzeitiges Hochzeitsgeschenk.«
    »Und ich hatte noch immer die Hoffnung, dass Sie mich eines Tages zum Altar führen würden, und sei es nur als Trauzeuge.«
    »Nichts hätte ich lieber getan.«
    »Aber Sie müssen gehen.«
    »Ja.«
    »Für immer.« »Für eine gewisse Zeit.« »Und wenn ich mitgehe?« Ich küsste sie auf die Stirn und umarmte sie. »Wohin ich auch gehe, du wirst immer bei mir sein, Isabella. Immer.«
    »Ich habe nicht vor, Sie zu vermissen.« »Ich weiß.«
    »Darf ich Sie wenigstens zum Zug begleiten oder wohin auch immer?«
    Ich zögerte zu lange, um mir diese letzten Minuten in ihrer Gesellschaft zu versagen.
    »Um sicher zu sein, dass Sie auch wirklich gehen und dass ich Sie für immer los bin«, fügte sie hinzu.
    »Abgemacht.«
    Gemächlich spazierten wir Arm in Arm die Ramblas hinunter. An der Calle Are del Teatre angekommen, bogen wir in die dunkle Gasse ein, die sich einen Weg durchs Raval bahnte.
    »Isabella, was du heute Abend sehen wirst, darfst du niemandem erzählen.«
    »Nicht einmal meinem Sempere junior?«
    »Natürlich. Ihm darfst du alles erzählen. Vor ihm haben wir fast keine Geheimnisse.«
    Als er die Tür öffnete, lächelte Isaac uns zu und trat beiseite.
    »Höchste Zeit, dass mal wieder ein hoher Besuch kommt«, sagte er mit einer Verbeugung vor Isabella. »Ich ahne, dass Sie den Führer spielen wollen, nicht wahr, Martín?«
    »Wenn es Ihnen nichts ausmacht …«
    Isaac schüttelte den Kopf und gab mir die Hand.
    »Viel Glück«, sagte er.
    Er ließ mich mit Isabella allein und zog sich in die Schatten zurück. Meine ehemalige Assistentin, die frischgebackene Geschäftsführerin von Sempere und Söhne, betrachtete alles ebenso erstaunt wie misstrauisch.
    »Was ist das denn für ein Ort?«
    Ich nahm sie bei der Hand und führte sie langsam in den großen Saal, in dem sich der Eingang befand.
    »Willkommen im Friedhof der Vergessenen Bücher, Isabella.«
    Sie schaute zu der hohen Glaskuppel hinauf und verlor sich in dem unmöglichen Anblick. Weiße Lichtstrahlen durchbohrten dieses Babel mit seinen Tunneln, Stegen und Brücken, welche dem Innern der Bücherkathedrale zustrebten.
    »Dieser Ort ist ein Rätsel. Ein Heiligtum. Jedes Buch, das du siehst, jeder Band hat eine Seele. Die Seele dessen, der es geschrieben hat, und die Seele derer, die es gelesen und gelebt und von ihm geträumt haben. Immer wenn ein Buch den Besitzer wechselt, immer wenn jemand den Blick über seine Seiten gleiten lässt, wächst sein Geist, und es wird stärker. Die Bücher, an die sich niemand mehr erinnert, die mit der Zeit verloren gingen, leben an diesem Ort für immer weiter und warten darauf, einem neuen Leser, einem neuen Geist in die Hände zu fallen …«
    Später ließ ich Isabella am Eingang des Labyrinths zurück und begab mich allein mit dem verfluchten Manuskript, das zu vernichten ich nicht den Mut gehabt hatte, in die Tunnel. Ich vertraute darauf, dass mich meine Schritte an den richtigen Ort führen würden, um es auf ewig zu begraben. Ich bog um tausend Ecken, bis ich mich schon verirrt wähnte. In der Gewissheit, denselben Weg bereits zehnmal gegangen zu sein, fand ich mich unversehens am Eingang zu dem kleinen
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